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Fundstück #46

#46 Promotion in Kriegszeiten

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Tafel aus dem Abbildungsband zur Dissertationsschrift von Marin Nicolau-Golfin, Version 1960, und Schreiben vom 12.7.1968 (Archiv der Mediathek des IKB)

Unter den losen und nicht inventarisierten Beständen in der Mediathek befindet sich eine Mappe, die 100, auf Pappe aufgezogene Fotos enthält. Die Abbildungen zeigen Wandbilder aus Kirchen im Gebiet des heutigen Rumänien. Die Beschriftungen mit Seitenangabe, Abbildungsnummer und Bezeichnung des Gegenstands lassen vermuten, dass sie entweder zu einer Qualifikationsarbeit oder einer Publikation gehören. Der Titel der Abhandlung geht aus den Tafeln jedoch nicht hervor. Ebensowenig ist vermerkt, wer der die Aufnahmen angefertigt hat.

Ein vergilbter, maschinengeschriebener Brief von 1968, der sich im äußerem Umschlag der Mappe versteckte, klärt über die Hintergründe der Bildersammlung auf. Er enthüllt ein akademisches und persönliches Drama. Die genaueren Umstände gehen aus dem Schreiben nicht hervor und müssen noch erforscht werden, daher wird der Inhalt hier nur stichpunktartig wiedergegeben. Der Absender – Marin Nicolau-Golfin, geboren 1914 in Iași/Rumänien, gestorben 1996 in Genf/Schweiz und laut Absenderadresse damals an der Akademie der Künste in Bukarest lehrend – berichtet folgendes:

Er habe sich im Jahr 1941 an der Berliner Universität eingeschrieben, um bei Philipp Schweinfurth Byzantinistik, Gerhart Rodenwaldt Archäologie und Sextil Pușcariu Rumänische Kulturwissenschaft zu studieren. Das Studium habe er 1944 abgeschlossen, die mündlichen Prüfungen abgelegt und auch eine Dissertation zur rumänischen Monumentalmalerei – also Wand- und Deckenmalerei – von den Anfängen bis zum Jahr 1830 eingereicht, die mit Schweinfurt diskutiert worden sei. Ob es sich dabei um eine förmliche Disputation handelte, bleibt offen.

Allerdings sei er noch 1944 – nach dem Frontwechsel Rumäniens von der Allianz mit dem nationalsozialistischen Deutschland zur Sowjetunion – in einem deutschen Konzentrationslager interniert gewesen und habe seitdem nichts mehr von seinen Prüfungen erfahren können. Erst viel später, 1960, habe er in einer anderen Sache Kontakt zur nunmehrigen Humboldt-Universität gehabt und in diesem Zusammenhang den Ratschlag erhalten, sich an das Institut für Kunstgeschichte zu wenden. Dort habe man jedoch von seiner Promotion keine Spur finden können; daher habe der damalige Direktor Gerhard Strauss ihm geraten, seine Arbeit erneut einzusenden. Nicolau-Golfin fährt fort, dass er das in Form einer aktualisierten Version des Texts, zuzüglich dreier Mappen mit je 100 Schwarzweissfotos, getan habe. Nachdem eine unmittelbare Reaktion hierauf ausgeblieben sei, habe er noch einmal eine um sprachliche Fehler verbesserte Version des Texts nachgereicht.

In seinem Schreiben bezieht er sich weiter darauf, dass sein Adressat – der nunmehrige Direktor des Instituts, Peter H. Feist – geantwortet habe, dass die vorliegenden Unterlagen wohl nicht ausreichten, um die Promotion zu bestätigen, da insbesondere kein Beleg für die seinerzeit abgelegten mündlichen Prüfungen vorhanden sei und zudem nach den aktuellen Maßstäben wohl weitere Prüfungen erforderlich seien. Nicolau-Garin appellierte hierauf im vorliegenden Schreiben, seine Promotion nach den Maßstäben von 1944 und nicht nach denen von 1968 zu beurteilen.

Spätere Antworten des kunsthistorischen Instituts, die möglicherweise an anderer Stelle noch aufzufinden wären, kennen wir bislang nicht. Aber offenbar wurde Nicolau-Golfins Ansuchen um Anerkennung seiner kunsthistorischen Promotion in Berlin nicht stattgegeben, da eine Publikation der Dissertation – die in so einem Fall zu erwarten wäre – bibliographisch nicht nachweisbar ist.

Unabhängig davon war Nicolau-Golfin als Autor kunsthistorischer und kunstdidaktischer Publikationen in seinem Heimatland erfolgreich tätig. 1967 erschien eine Geschichte der Kunst als Lehrbuch für Kunstschulen und 1969 ein weit verbreiteter Überblick über die Kunstgeschichte in zwei Bänden (1). Seit den 1980er Jahren lebte Nicolau-Golfin, der bereits vor seinem Berliner Promotionsprojekt in Bukarest einen Doktortitel in Geschichte erworben hatte, in Genf. Wohl vor dem autoritären kommunistischen Regime geflohen, betrieb er dort einen rumänischen Verlag, publizierte nach der politischen Wende jedoch auch wieder in Rumänien. Er starb 1996 in Genf. In seinen späten Jahren war er vor allem belletristisch und dramaturgisch tätig (2). In der Bibliothek der Humboldt-Universität ist er nicht mit seiner wohl nie erschienenen Dissertationsschrift, aber dafür mit einem Roman aus dieser Zeit vertreten: Fata pământului („Erdmädchen“), Bukarest 1994.

Die eingangs genannte Abbildungsmappe im Archiv der Mediathek ist vermutlich die erste der drei im Brief erwähnten Mappen, die den Abbildungsapparat zum Dissertationsmanuskript bildeten. Sie enthält die mittelalterlichen Bildbeispiele. Die beiden anderen Mappen sind, ebenso wie der Text selbst, nicht im Bildarchiv der Mediathek auffindbar. Ob die Abbildungen der neueren Werke – dem Titel der Arbeit zufolge wurden ja Kunstwerke bis 1830 behandelt – weniger interessierten und daher nicht aufgehoben wurden, oder aus einem anderen Grund verloren gingen, ist unbekannt.

(G.S.)

(1) Marin Nicolau-Golfin: Istoria artelor. Manual pentru clasa a vL a scolilor de arte plastice. Bukarest 1967 und Ders: Istoria artei. 2 Bde., Bukarest 1969.
(2) Kurzer Artikel in der rumänischen Wikipedia: https://ro.wikipedia.org/wiki/Marin_Nicolau [2].

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