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Fundstück #48

#48 Im Land der Impressionisten

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Abb. 1. Handgefertigtes Dia mit Karte auf Transparentpapier und Reprodia (Digitalisiat Mediathek des IKB)

Unser Fundstück, das Glasdia mit der farbigen Karte, ist gar kein Foto, sondern ein von Hand beschriebenes und bemaltes Stück Transparentpapier, das zwischen zwei Glasplatten gelegt wurde, die minimalistisch am Rand mit zwei Papierstreifen verklebt sind, damit das Ganze als Dia handhabbar bleibt, zugleich aber nichts von der teils bis an die Ränder reichenden Zeichnung verdeckt wird. Die Abbildung zeigt eine schematische Karte, bestehend aus Linien für Flussläufe und verschiedenfarbigen und verschieden großen Punkten für Städte und Orte rund um die Île de France. Es handelt sich um die wichtigsten Arbeits- und Aufenthaltsorte der Malerinnen und Maler des Impressionismus.

Wohl um die Zeichnung besser projizieren zu können, wurde auch ein Reprofoto davon gemacht, das wiederum zum Dia umkopiert wurde (s. Abb. 1). Solche Beispiele abfotografierter Zeichnungen – auch solcher, die von den Lehrenden hergestellt wurden – sind nicht selten. Wolfgang Schöne in Hamburg sticht hier besonders heraus, wie man an dem inzwischen teilweise online zugänglichen Diabestand des dortigen Seminars nachvollziehen kann.
Direkt als Dia verwendete Zeichnungen sind hingegen seltener. Der hohe Vergrößerungsfaktor erfordert eine präzise und detaillierte Ausführung, damit die Grafik in der Projektion nicht unförmig wirkt. Das gilt bereits für das große Glasdiaformat; im Kleinbildformat sind Zeichnungen praktisch nicht mehr direkt einsetzbar.

Im Zeitalter des Kleinbilds wurden selbst angefertigte Zeichnungen stattdessen mit Hilfe eines Overheadprojektors (in der DDR bekannt unter dem Markennamen „Polylux“) an die Wand geworfen, der mit seinem schiefen Bild und in den Raum strahlenden Licht (vgl. die Philippika von Bredekamp 2000) als Ergänzung zur Diaprojektion freilich problematisch blieb. Vorteil war allerdings, dass auf der Projektionsfläche ad hoc gezeichnet werden konnte. Auch wenn so eher einfache Schemazeichnungen, ähnlich wie auf Schultafeln, entstanden, fehlte diese Möglichkeit der Veränderung und Aktualisierung der abfotografierten Zeichnung.

Interessanterweise zeigt die händisch hergestellte Vorlage unserer Objekte eine solche Veränderung. Dort sind nämlich nach der Herstellung des Fotos noch der Verlauf der Epte, ein rechter Nebenfluss der Seine nördlich von Paris, sowie der Loing, ein linker Seitenfluss im Süden, hinzugefügt worden. Zwar nicht während der Lehrveranstaltung, aber doch unmittelbar davor, war eine solche Ergänzung auf dem transparenten Material möglich. Hierfür musste nur einer der Papierstreifen entfernt werden, um die Glasplatten aufzuklappen und anschließend wieder angebracht werden, um die beiden Platten wieder fest aneinander zu binden.

Nun stellt sich die Frage, für welche Lehrveranstaltung die Dia-Karte angefertigt wurde, und auf wen sie zurückgehen könnte. Thematisch liegt hier Peter H. Feist am nächsten, der nicht nur in der DDR, sondern auch im deutschsprachigen Raum ein führender Kenner auf dem Gebiet des Impressionismus war. Seine gut lesbaren Überblicksdarstellungen wurden bis vor kurzem u.a. im Taschen-Verlag immer wieder aufgelegt.

Diesen Schwerpunkt bildete Feist, der sich zunächst auf ikonografische Fragen im frühen Mittelalter fokussierte, allerdings erst im Zuge der Habilitation seit dem Ende der 1950er Jahre aus. Der erste Kontakt mit der Malerei des Impressionismus begann vielmehr zurückhaltend, wie er bezüglich seiner ersten Frankreichreise 1954 schrieb: „Am 13. September stieg ich nach tagelangen Aufregungen um Pässe, Visa und Geld mit einem kleinen Koffer und einer Aktentasche in den Interzonenzug, erreichte nach mehrmaligem Umsteigen Kehl und fuhr dann morgens über den Rhein nach Straßburg…“(Feist 2016, 62). In der ihm eigenen gründlichen Art hat er das auch minutiös dokumentiert, auch durch ein – noch in schwarzweiß aufgenommenes – Kleinbilddia, das sich ebenfalls in der Sammlung des IKB befindet (Abb. 2). Die Reise führte ihn zunächst nach Südfrankreich und dann für mehrere Tage nach Paris. „Eigentümlich zögerlich gewann ich ein erstes Verständnis für die Impressionisten im Musée Jeu de Paume,“ vermerkte er zu seinem Paris-Aufenthalt (ebda., S. 64).

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Abb. 2. Dias von Peter H. Feist, aufgenommen auf der Reise 1956 nach Südfrankreich und Paris bzw. in Paris 1958 (Fotos: Peter H. Feist; Digitalisat Mediathek des IKB)

Auch wenn es sich nicht um eine Reise zu den Orten der Impressionisten in der Île de France handelte, die Feist – abgesehen von vielen Parisbesuchen – auch später anscheinend nie systematisch unternommen hat, so macht es gerade die Ähnlichkeit der Handschrift dieses frühen und daher besonders sorgfältig beschrifteten Dias wahrscheinlich, dass er auch der Autor der Kartenzeichnung ist.

Sucht man nun nach in Frage kommenden Lehrveranstaltungen, stellt man fest, dass Feist Jahre später, im Frühjahrssemester 1959/60 (das nach dem damaligen an der Sowjetunion orientierten Studienrhythmus die ersten drei Monate des Jahres 1960 umfasste) tatsächlich eine Übung mit dem Titel „Impressionistische Malerei in Frankreich“ abhielt, deren Besuch für das IV.-V. Studienjahr obligatorisch und für das I.-II. Studienjahr fakultativ war.

Zu einer derartigen, offensichtlich als breiter Überblick konzipierten Veranstaltung würde nicht nur die Karte, sondern auch der nach Ausweis der Inventarnummer 1960 anzusetzende Herstellungszeitpunkt für das Reprodia perfekt passen. Aufgrund unserer Beobachtung der Differenzen zur händisch gezeichneten Variante darf jedoch vermutet werden, dass Feist tatsächlich – wohl auch den Vorzug der Mehrfarbigkeit schätzend – vor allem letztere einsetzte und sie im Verlauf der Veranstaltung aktualisierte. Überhaupt ist davon auszugehen, dass er in der Lehrveranstaltung nicht nur die großen Glasdias benutzte, die fast ausschließlich Schwarzweiß-Repoduktionen boten, sondern – wo vorhanden – auf seine eigenen Farbdias im Kleinbildformat zurückgriff, die er seit 1954 in den Museen in Paris und anderswo angefertigt hatte (s. Abb. 2).

(G.S.)

Literaturhinweise

Feist, Peter H.: Hauptstraßen und eigene Wege. Rückschau eines Kunsthistorikers, Berlin 2016
Bredekamp, Horst, Warum ist es so schwierig, ein Dia zu zeigen?, in: Frankfurter Allgemeine 5. Okt. 2000, Nr. 231, Berliner Seiten, S. 1.

(Datensätze der Dias in den Abbildungen: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection606218 [3] )

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