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Fundstück #34

#34 Fahrt zum Bischofsgang

Diapostive aus dem Magdeburger Dom [1]

Abb. 1. Zwei Dias mit Kapitellen aus dem Bischofsgang des Magdeburger Doms (Fotograf:in: unbekannt); Dia mit Ansicht des Bischofsgangs (Foto Marburg) (Digitalisate: Mediathek des IKB).

Unser aktuelles Fundstück besteht aus zwei Dias, von denen eines ein gotisches Knospenkapitell und eines ein spätromanisches, mit klassischen Elementen durchsetztes Akanthuskapitell zeigt. Beide befinden sich im Bischofsgang des Magdeburger Doms. So wird das in den 1230er Jahren entstandene Emporengeschoß bezeichnet, das sich über dem Chorumgang des frühgotischen Chors befindet. Stilistisch ist der Bischofsgang besonders interessant, weil dort während des Baus des heutigen Doms, der den Dom Ottos des Großen ersetzte, offenbar eine neue Bauhandwerkertruppe tätig wurde, die nun dezidiert gotisch-französische Formen mitbrachte. Hingegen waren die früheren Teile des 1209 begonnenen Neubaus des Doms, insbesondere das untere Geschoss des Chors und sein Kapellenkranz noch in einer Mischform aus gotischer Grundrissstruktur und romanischem Formenapparat gehalten. Dass sich über dem Chorumgang noch ein weiterer Umgang befindet, ist eine Besonderheit des Magdeburger Doms. Der breite und mit prächtigen frühgotischen Gewölben ausgestatte Bischofsgang stellte eine Verbindung zwischen dem nördlich des Chores gelegenen Bischofspalast und dem südlich gelegenen Domkloster dar (s. das dritte Dia mit einer Aufnahme des Gangs aus Richard Hamanns Geschichte der Kunst, Abb. 312)

Fotografien von Architekturelementen aus diesem architekturgeschichtlich interessanten Bauabschnitt wären nicht auffällig, wenn nicht eines der Dias die – von einem Wasserschaden leicht entstellte – Beschriftung „nach Exkursionsfilm“ zeigte. Auf dem anderen Dia befand sich vermutlich der gleiche Vermerk, jedoch ist das Etikett teils abgerissen. Demnach entstanden die Aufnahmen also im Zusammenhang mit einer Lehrexkursion. Exkursionen begegneten uns bereits bei zwei Fundstücken (#3 [2] und #19 [3]), jedoch jeweils ausgehend von datierten Bildern, die die Studierendengruppe zeigten. Unsere Kapitellaufnahmen tragen jedoch weder Inventarnummer noch Datum. Aufgrund der Schrift und gesamten Machart kann zwar von den späten 1950er Jahren ausgegangen werden, was freilich nur wenig weiterhilft, da die Vorlesungsverzeichnisse des fraglichen Zeitraums Exkursionen nicht verzeichnen.

Die Ausdrucksweise der Beschriftung erschöpft sich nicht im Hinweis auf eine Exkursion (dafür hätte man vielleicht eher „Exkursion, Jahrszahl“ vermerkt). Vielmehr verweist sie darauf, dass die Dias nicht als Kontaktkopie eines Glasplattennegativs entstanden, sondern auf der Basis eines Negativfilms. Hierfür kommen als damals verbreitete Formate entweder 6 cm breiter Rollfilm, oder aber 35mm breiter Kleinbildfilm in Frage. In jedem Fall konnte bei beiden Formaten aufgrund der geringeren Negativgröße nicht mehr direkt kopiert werden sondern die 8,5 x 10 cm große Diaplatte musste mit einem Vergrößerer belichtet werden. Auch wenn die Aufnahmen scharf und gut durchgezeichnet erscheinen, liegt wohl das Kleinbildformat zugrunde. Zunächst sind deutlich weiße Fusseln sichtbar, die typischerweise bei der stärkeren Vergrößerung eines Negativs in Erscheinung treten. Zum anderen deutet die Ausdrucksweise „nach Exkursionfilm“ darauf hin, dass es nur einen einzigen solchen gab. Hierfür wäre der Rollfilm mit – je nach Format – nur 8 bis 16 Bildern wohl zu wenig umfangreich gewesen, während der typischerweise 36 Bilder umfassende Kleinbildfilm geeigneter erscheint. Wo sich der Film befindet und welche Motive die restlichen Aufnahmen zeigten, ist nicht bekannt. Die Katalogisierung der Glasdias könnte noch weiter Aufnahmen von anderen Objekten der Exkursion zum Vorschein bringen, aber es ist auch anzunehmen, dass der Film, der vielleicht in Privatbesitz verblieb, auch Personenaufnahmen enthielt, während nur einige Sachaufahmen ausgewählt wurden, um daraus Dias für die Lehrbildsammlung zu machen.

Wenn wir jetzt noch einmal danach fragen, wann und unter wessen Leitung die betreffende Exkursion unternommen wurde, wäre einerseits denkbar, dass sie in den letzten Jahren des bis 1958 dauernden Ordinariats von Richard Hamann (1879-1961) stattfand, der sich bereits zu Beginn des 20. Jh. intensiv mit der Kapitellplastik des Magdeburgers Dom beschäftigt hat (Aufsatz im Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen, 1909). Als Gründer und Leiter von Foto Marburg ist er für sein Interesse an der kunsthistorischen Dokumentarfotografie mehr als bekannt. Allerdings scheint es sich bei unseren Bildern um einzelne Aufnahmen und keineswegs um eine systematische Aufnahmekampagen zu handeln, für sicherlich auch eine Glasplattenkamera eingesetzt worden wäre.
Andererseits könnte die Exkursion auch etwas später stattgefunden haben, wäre dann aber wohl nicht von dem an mittelalterlicher Baukunst wenig interessierten Nachfolger Hamanns, Gerhard Strauss (1908-1984), sondern einem der damaligen Assistenten oder Lehrbeauftragten geleitet worden. Hier kommt wieder Peter H. Feist (1925-2015) ins Spiel, der seit 1959 Assistent in Berlin war und in dessen Diaarchiv eine eine Exkursion nach Magdeburg im Mai 1960 dokumentiert ist (Abb. 2).

Feists Bild zeigt die Gruppe der Teilnehmenden, vielleicht nach der Besichtigung des Doms, lagernd im südlich angrenzenden Kreuzgang. Es handelt sich um die gleiche Studierendenkohorte, die bereits in Fundstück #19 [3] fotografierend aufgetreten ist. Zum Aufnahmezeitpunkt war sie noch im 1. Studienjahr.

Leider findet die Reise in Feists Autobiographie keine Erwähnung und möglicherweise war er nur Begleiter, während die Leitung bei dem Architekturhistoriker Karl-Heinz Clasen (1893-1979) gelegen haben könnte. Clasen, der in der Nazizeit eine führende Rolle bei der Erforschung der mittelalterlichen Architektur in den Ostgebieten spielte, besaß eigentlich eine Professor in Greifswald, nahm aber auch an der Humboldt-Universität Lehraufträge wahr. Den Vorlesungsverzeichnissen zufolge hielt er im folgenden Studienjahr, im „Frühjahrssemester“ 1960/61, „Übungen zur Baugeschichte des Mittelalters“ für das 2.-4. Studienjahr ab.

Der Zusammenhang zwischen den Aufnahmen der Kapitelle und der Exkursionsgruppe von 1960 ist vorerst weitgehende Vermutung und der letzte Nachweis, dass die Aufnahmen der Kapitelle – vielleicht ausgeführt einem oder einer bereits fotografisch erfahrenen Studierenden – tatsächlich auf dieser Fahrt entstanden, ist noch zu erbringen. (G.S.)

(Datensatz zum Dia: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection603838 [5])

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