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Fundstück #15

#15 Raffael in Preußen

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Foto: Peter H. Feist

Fast wie bei bei unserem letzten Fundstück [2] ist eine – zwar nicht verschwundene, aber wohl nicht so geläufige – Gemäldegalerie zu sehen. Auch diese enthält leicht erkennbare Bilder, vor allem die sog. Transfiguration von Raffael, die die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor mit der Episode der Heilung des Bessessen Jünglings verbindet. Aber etwas irritiert zugleich, da es sich ja offensichtlich nicht um eine Sonderausstellung handelt: Hing die Transfiguration – wenn auch zeitweilig von Napoleon nach Paris entführt – nicht seit Erfindung der Fotografie ununterbrochen in der Vatikanischen Pinakothek? Zeigt das Bild rechts daneben nicht die Sybillen der Chigi-Kapelle in der Kirche S. Maria della Pace in Rom? Die Beschriftung des Dias verrät es bereits: Zu sehen ist der sog. Raffaelsaal im Orangerieschloss in Potsdam und die Gemälde sind alle Kopien, meist in Originalgröße, im Fall der Fresken jedoch verkleinert.

Dieses Fundstück ist gegen Ende des Jahres 2020 unsere kleine Hommage an Raffael, der zum Schock der römischen Kunstszene im Alter von 37 Jahren am 6. April 1520 überraschend gestorben ist. Er soll unter dem fast vollendeten Bild der Transfiguration in seinem Atelier aufgebahrt worden sein, bevor er im römischen Pantheon bestattet wurde. Das ist nun 500 Jahre her. In der Folgezeit erfuhr Raffael hohe Wertschätzung mit periodischen Höhepunkten, unter anderem um und nach 1800 durch die deutschen Romantiker. Im Zuge dieser Raffaelbegeisterung ließ der preußische König Friedrich Wilhelm III. Kopien nach Raffaels Gemälden anfertigen, da die Originale bereits kaum mehr erhältlich waren und er zugleich an einer Art enzyklopädischen Raffaelsammlung interessiert war. Insbesondere kapitale Stücke wie die Sixtinische Madonna, die August III. von Sachsen für Dresden im 18. Jahrhundert noch hatte kaufen können, waren inzwischen außer Reichweite. Aber erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Stern Raffaels im Zuge antiakademischer Kunstentwicklungen schon im Sinken begriffen war, entstand unter Friedrich Wilhelm IV. und Ks. Wilhelm I. der Raffaelsaal im Orangerieschloss als öffentlicher Schauraum.

Peter Feist, der die leider nicht ganz scharfe Aufnahme im Raffaelsaal 1972 gemacht hat, war kein Spezialist für italienische Renaissance-Kunst, aber er zollte dieser Epoche – ebenso wie die gesamte DDR-Kunstwissenschaft – ein gewisses Interesse, da sie für die Darstellung des Menschen und der materiellen Welt von enormer Bedeutung war. Der Leipziger Ordinarius Ernst Ullmann, mit dem Feist kollegial und freundschaftlich verbunden war, publizierte zum 500 Geburtstag 1983 sogar eine aufwändige Raffael-Monografie im VEB Seemann-Verlag. Es könnte sein, dass er – obwohl ebenso wie Feist mit großzügigen Reisemöglichkeiten ausgestattet – hierfür auch das eine oder andere Mal den Potsdamer Raffaelsaal besucht hat.

(GS)

Noch ein paar Ausblicke im Anschluss: Ein Museum für Kopien? Die Anfertigung von Kopien von berühmten Gemälden war im 18. und 19. Jahrhhundert nicht ungewöhnlich, vor allem um damit Privaträume oder Galerien etwa in Schlössern auszustatten. Diese Praxis ist eine erste kunsthistorische Rezeption, die weiterer Untersuchung wert wäre.
Im 19. Jahrundert wird die Perspektive stärker kunsthistorisch: Der Sammler Graf Schack in München hat um die Mitte des 19. Jahrhunderts für seine Sammlung, die vowiegend romantische Landschaftsbilder enthält, auch Tizian-Gemälde kopieren lassen und in seiner Galerie ausgestellt. Die Sammlung ging als Vermächtnis 1894 an Kaiser Wilhelm II. (und damit ebenfalls in den Besitz der Hohenzollern) über, der dafür neben der preußischen Gesandtschaft einen eigenen Museumsbau errichten ließ (heute Teil der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen).
Noch einmal zurück zu Raffael: Prinz Albert, der Mann von Queen Victoria von England, schlug in den 1850er Jahren bereits eine andere Richtung ein und ließ – beginnend mit der eigenen Zeichnungssammlung in Windsor – Raffael-Werke nicht abmalen, sondern fotografieren, mit dem Ziel, das erste komplette Bildkorpus eines Künstleroeuvres anzulegen (https://www.rct.uk/collection/themes/trails/prince-albert-his-life-and-legacy/prince-alberts-raphael-collection [3]). Damit war der Übergang von der Nachbildung zur Dokumentation vollzogen.

(Link zum Datensatz: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/view.php?ref=9106 [4])

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