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Fundstück #28

#28 Kiew-Momente

Glasdias mit Aufnahmen von Bauwerken in Kiew [1]

Peter H. Feist, Kleinbilddiapostive mit Aufnahmen in Kiew, Sophienkathedrale, Mosaik der Hauptkuppel Sommer 1959 und Kiew, Bürohaus Chreschtschatyk-Straße Nr. 6, November 1988 (CC BY SA 4.0). Digitalisate: Mediathek des IKB.

Im Jahr 1959, nachdem er im Jahr zuvor eine Anstellung am Kunstgeschichtlichen Institut der Humboldt Universität als Assistent von Gerhard Strauss erhalten hatte und einen Vertrag über ein Renoir-Buch – dem Thema seiner Habilitation – abgeschlossen hatte, konnte sich Peter H. Feist, später auch Professor für Kunstgeschichte, mit seiner Frau eine große private Reise durch die Sowjetunion leisten. Sie führte unter anderem auch nach Georgien und in die Ukraine.

Obwohl Feists 2016 erschienene Autobiographie erst in den Jahren vor seinem Tod 2015 abgefasst wurde, wird in der knappen Schilderung der Reise deutlich, wie sehr seine Eindrücke damals noch vom zweiten Weltkrieg geprägt waren:
“Mit vielen Zwischenhalten fuhren wir einen Tag lang über Rostow am Don und durchs Donetzbecken nach Charkow. Man hatte viel Zeit, in die Landschaft zu schauen und nachzudenken. Unsere Generation kannte die Orte und Gegenden aus den Wehrmachtsberichten und Wochenschauen fünfzehn Jahre zuvor und den Erzählungen unserer Väter. Mein Vater war mit seinem Lazarett einige Zeit in Charkow stationiert gewesen.” (PhF, Haupstraßen und eigene Wege, S. 84).

Zugleich scheint aber auch der Kunsthistoriker durch, für den das eigene Fotografieren ein wichtiges Werkzeug war und der mit seinen Worten deutlich werden lässt, wie wertvoll Fotografien – und damals insbesondere Farbfotografien – waren. Denn er schreibt zur Besichtigung von Kiew kaum mehr als: “nach einer weiteren Nachtfahrt waren wir im wesentlich prächtigeren Kiew. Wir besichtigten die Klosteranlage Petschorskaja Lawra und die als Museum eingerichtete Sophienkathedrale, wo ich bei der Direktorin die Erlaubnis zu einigen Farbfotos erwirkte” (S. 84, 85). Hier handelte es sich sicherlich um die wenigen, teils mit Teleobjektiv erstellten Aufnahmen der Mosaike der Apsis und der Hauptkuppel, die sich heute in den Bildsammlungen des IKB befinden.

Fast 30 Jahre später, zu Zeiten bereits manifester Wandlungen in der Sowjetunion, im November 1988, war Peter Feist ein weiteres Mal in Kiew. Er leitete damals, nach Aufgabe der Professur an der Humboldt-Universität, das Institut für Ästhetik und Kunstwissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR und er reiste diesmal nach Kiew, “um mit dem Institut für Kunstwissenschaft der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften über mögliche Gemeinsamkeiten zu beraten”(S. 188). Über Inhalt und Ausgang der Beratungen erfahren wir leider weiter nichts. Die Erwähnung eines Kiewer Partners bei einer in Berlin im November 1989 abgehaltenen Tagung „DDR-Künste im internationalen Kontext“, deren Planung und Durchführung bereits vollkommen in den Strudel des Mauerfalls geriet, lässt allerdings vermuten, dass damals engere Verbindungen zustande kamen (S. 193).

Bei dieser eher geschäftlichen Reise, auf der er aber auch erneut die berühmten Höhlenklöster besichtigte, hat Peter Feist mehrere Aufnahmen im Zentrum der Stadt gemacht. Aus einem der Bilder können wir schließen, dass er in einem Hotel an dem nach dem ukrainischen Freiheitshelden benannten Taras Schewschenko-Boulevard wohnte – vielleicht in dem heutigen, 1912 als ‚Palast-Hotel‘ eröffneten ‚Premier Palace Hotel‘. Das war unweit von der Akademie der Wissenschaften gelegen, die ja das Hauptziel dieser zweiten Reise war.

Das in der abgebildeten Aufnahme sichtbare Jugendstil-Bürohaus am oberen Ende des zentralen Chreschtschatyk-Boulevard (Nr. 6), das 1911 nach Entwurf des Architekten Josip Abramovitsch Zektser (1867-1933) erbaut worden war, wählte Peter Feist wohl als typisches Beispiel für die auch nach internationalem Maßstab beeindruckende Aufbruchszeit der Stadt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.

* * *

Der seit 1991 souveräne Staat Ukraine und dessen Hauptstadt Kiew werden in diesen Tagen unter vorgeschobenen Gründen von der militärischen Großmacht Russland attackiert, die im Begriff ist, eine von territorialen, imperialen und völkischen Denkmustern geprägte Gewaltpolitik zur Maxime zu machen und sich völlig von ihren europäisch-aufklärerischen Wurzeln zu trennen. Es ist zu fürchten, dass die Stadt Kiew, die immer eng mit den verschiedenen Kulturen Europas und des nahen Ostens verbunden war, in den nächsten Tagen eingenommen und stark zerstört wird. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich allen Erwartungen zum Trotz ein Ausweg findet, der (nicht nur) für die Menschen in Kiew und der restlichen Ukraine wieder zu Selbstbestimmung und Frieden führt. (G.S.)

(Aufruf einer Auswahl von Dias, die Peter H. Feist 1959 und 1988 in Kiew aufgenommen hat: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection602481 [2])

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