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Arnheim Lecture: Prof. Dr. Anna Konik

Datum/Zeit
Date(s) - 29/01/2018
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort
Max Liebermann Haus [1]
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Abendvortrag mit Videopräsentation im Rahmen der Rudolf-Arnheim-Gastprofessur

Prof. Dr. Anna Konik [4]

Lesen versteckter Geschichten (Precarious Life – Hindernisse – Empathie)

 

Installationsansicht – Anna Konik In the same city, under the same sky…, Center for Contemporary Art Ujazdowski Schloss, Warschau, 2015/2016. Foto: Bartosz Górka [5]

Moderne unsichtbare Hindernisse sind Grenzen, die eine isolierende und ausschließende Rolle haben. Es handelt sich um Hindernisse, die im Weg zum Gefühl der Zugehörigkeit, Empathie und des Sinns stehen und den Fremden, den Geflüchteten, den Einwanderer, den Illegalen, den Unwillkommenen ins Leben rufen.[1] Diese unsichtbaren Mauern gibt es, sie stehen überall und wachsen trotz der offiziell verbreiteten demokratischen Werte. Sie existieren ununterbrochen, denn sie sind in unseren Köpfen, sie teilen unsere Körper. Sie tragen stets zu demselben Problem bei: dem brennenden Problem der ausgestoßenen, unwillkommenen Menschen, wobei man hier alle Synonyme des Wortes „brennend“ aufzählen muss: schmerzhaft, schwer, unerträglich, durchdringend, problematisch, lästig, kalt, bitter, quälend, herb, beißend, kritisch, böse, Installationsansicht – Anna Konik In the same city, under the same sky…, National Museum of Contemporary Art, Bukarest, 2015/2016. Foto: Larisa Star [6]unangenehm… In the same city, under the same sky… besteht aus 35 Filmen, die als Antwort auf Fremdenfeindlichkeit und die tragischen Folgen des Schmuggels von Geflüchteten nach Europa entstanden. Alle Filme zeigen authentische Berichte von Frauen, die ein Zuhause suchen und vor dem Krieg, Terrorismus, Armut, sexueller Belästigung und Gewalt fliehen. Nicht jede dieser Geschichten nimmt ein gutes Ende. Die aufgenommenen Berichte enthalten Worte des Elends, der Angst, Verzweiflung und zugleich Empörung, einen Schrei nach Gerechtigkeit und Verständnis. Gefordert werden auf Empathie basierendes Verständnis, die Anerkennung der drastischen Gründe der Flucht, aber vor allem Akzeptanz eines Subjekts, das lebt, trotz seiner Fremdheit und Andersartigkeit. Dieses Videoprojekt ist, neben dem neuesten, sich in der Realisierungsphase befindenden Films Obłoki płyną nad nami [Wolken schweben über uns], ein selbstverständlicher Versuch, die Figur des Fremden zu analysieren. Diesmal wird aber eine persönliche Perspektive eingenommen, das heißt es wird die Geschichte der Erfahrungen der jüdischen Bevölkerung, der Umsiedler aus den Ostgebieten Polens und der deutschen Minderheit aufgeschrieben, die die Identität der Kleinstadt mit dem sympathisch klingenden Namen Dobrodzień (Guttentag) in Südpolen bestimmen. Es ist meine Heimatstadt in Oberschlesien. Dieser entlegene Ort birgt in sich verwickelte Biografien von Menschen, Geschichten von Orten und Ereignissen. Deutsche, Juden und Polen – in ihnen verweben sich alle drei Identitäten – die einen sind schon immer da gewesen, andere wurden zwangsausgesiedelt, flohen oder wurden abtransportiert.

Wer ist also der Fremde, der neben mir lebt und ohne den es mich nicht geben kann?

 

 

[1] Judy Fudge, Borders – “In the Same City Under the Same Sky”, 2015

Anna Konik_In the same city, under the same sky… (book cover ENG version) [7]

1. Installationsansicht – Anna Konik In the same city, under the same sky…, Center for Contemporary Art Ujazdowski Schloss, Warschau, 2015/2016. Foto: Bartosz Górka

2. Installationsansicht – Anna Konik In the same city, under the same sky…, National Museum of Contemporary Art, Bukarest, 2015/2016. Foto: Larisa Star