CFP: Ästhetik der Sichtbarkeit online, 20-21 Nov 20

Datum/Zeit
Date(s) - 20/07/2020
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CFP: Ästhetik der Sichtbarkeit
Berlin/online, 20-21 Nov 20

Eingabeschluss: 20. Juli 2020

 

Berliner Graduierten-Symposium für moderne und zeitgenössische Kunstgeschichte

(Freie Universität Berlin / Humboldt-Universität zu Berlin)

Konzeption und Organisation: Prof. Dr. Eric C. H. de Bruyn, Prof. Dr. Eva Ehninger, Dr. des. Johanna Függer-Vagts, Dr. André Rottmann mit Louisa Denker, Johanna Engemann, Frederik Luszeit, Henriette Marsden und Hanna Steinert.

In Kooperation zwischen dem Arbeitsbereich Neueste Kunstgeschichte / Modern and Contemporary Art des Kunsthistorischen Instituts der FU Berlin und dem Fachbereich Kunstgeschichte der Moderne des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte der HU Berlin findet im Wintersemester 2020/21 zum zweiten Mal – dieses Mal in digitaler Form – das gemeinsame Berliner Graduierten-Symposium für moderne und zeitgenössische Kunst- und Bildgeschichte statt.

Ziel der jährlichen Nachwuchstagung ist es, fortgeschrittenen Master-Kandidat*innen und Promovierenden zu Beginn der Dissertation die Möglichkeit eines intensiven Austauschs über geplante und laufende Projekte im Forschungsfeld der Geschichte und Theorie künstlerischer Praktiken und visueller Phänomene von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu bieten. Die fachliche Diskussion wird dabei jeweils durch ein übergeordnetes Thema der Veranstaltung gerahmt.

Unter dem Titel „Ästhetik der Sichtbarkeit“ sollen im Rahmen des Nachwuchsforums 2020 künstlerische Strategien und Mechanismen der Sichtbarmachung genauso zur Diskussion stehen wie die ihnen inhärenten Ränder und Begrenzungen. Bildmedien machen Phänomene keineswegs nur wahrnehmbar, sondern generieren selbst Formen der Unsichtbarkeit. Denn im Dienste der Vermittlung visueller Gehalte nehmen Formen der bildlichen Repräsentation in Kauf, selbst unsichtbar zu bleiben. Weil aber dieses partielle Verschwinden häufig wiederum bildnerisch reflektiert wird, können anhand von Bildern und Kunstwerken je historisch-spezifische Episteme der Sinneswahrnehmung untersucht werden.

Sichtbarkeit ist in diesem Zusammenhang nicht mit dem Begriff der Optikalität („opticality“) gleichzusetzen, der vorrangig die visuelle Wahrnehmbarkeit beschreibt. In der Kunstgeschichtsschreibung ist deren Primat während des ganzen 20. Jahrhunderts wiederholt unter Hinweis auf haptische, akustische oder olfaktorische Qualitäten ebenso wie technische, politische oder soziale Voraussetzungen als unzureichende Verengung in die Kritik geraten. Daran anknüpfende, methodische Vorschläge — wie solche, Visibilität als Wahrnehmbarkeit im weiteren Sinne zu fassen und Modelle der Intermodalität und Imagination des Unsichtbaren einzubeziehen —, führen zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit Bild- und Blickregimen. Zugleich gerät die oftmals unausgesprochene Prämisse einer optimalen Sichtbarkeit von Bildern, die den Modernismus als Zeitalter der Transparenz charakterisiert, nicht nur als historisches Ideal, sondern auch als Analysekategorie der Wissenschaft zunehmend unter Druck. In Untersuchungen konkreter Architekturen der Sichtbarkeit lassen sich beispielsweise die Funktionsweise des emblematisch gewordenen Panopticons oder die Materialästhetik der Glasarchitektur, die die Metaphorik der Transparenz nahezu direkt übersetzen, in den Blick nehmen. Worin zeigt sich eine moderne Ikonologie der Transparenz, die die Metaphern vom Licht der Aufklärung oder deren invertierter Geschichte des Schattens beerbt oder transformiert? Die dystopische Kehrseite der aufklärerischen Erleuchtungsrhetorik lässt sich — mit Michel Foucaults berühmtem Diktum „Sichtbarkeit ist eine Falle“ — zugleich als Mechanismus der Durchleuchtung und Überwachung, der Ordnung und Instrumentalisierung beschreiben.

Ein utopisches Potential der Sichtbarkeit wird exemplarisch verhandelbar, wenn Praktiken des Sichtbarmachens zum Instrument von Emanzipationsbewegungen werden. In intersektionalen Diskursen wie postkolonialer Theorie und Black Studies, Gender Studies, Queer Theory, Disability Studies u.a. werden Ansprüche auf Repräsentation und Dokumentation dezentralisiert. Beide Pole im Sprechen über Sichtbarkeiten — die maximale Sichtbarkeit als Dystopie der Kontrolle und das utopische Bestreben nach selbstermächtigter Sichtbarkeit im Politischen— sind von der kunsthistorischen und bildwissenschaftlichen Forschung aufgenommen worden. Im letzten Jahrzehnt thematisierten die „invisibility studies“ explizit Phänomene des Entzugs. Wie sind etwa Strategien zu beschreiben, die zwischen der Sichtbarkeit und dem Klandestinen wirksam werden? Wie bilden etwa der Einsatz von Unschärfe, die Rolle einer peripheren Wahrnehmung oder Inszenierungen des Verschwindens und Verstummens künstlerische Möglichkeiten, um das Unsichtbare, Geheimnisvolle, Opake oder Subversive zu aktivieren? Ausgehend davon lässt sich fragen, welche Akteur*innen und Institutionen in Prozessen der Sichtbarmachung entscheidend sind; wie und von wem Sichtbarkeit reklamiert oder erlangt werden kann und welche Rolle mediale, wissenschaftliche, politische oder soziale Kontexte spielen.

Historische und gegenwartsbezogene Fragen nach den Funktionen von Sicht- und Unsichtbarkeit treiben die Disziplinen der Kunst-, Bild- und Medienwissenschaft spätestens seit der Rezeption von Gilles Deleuze’ Konzeptionen des „Sagbaren und Sichtbaren“ an und werden in einer Selbstkritik des Fachs auf die Tätigkeit der Wissenschaft ausgeweitet. Im Sinne der Kanonkritik gilt es auch zu thematisieren, welche Phänomenbereiche von akademischen Diskursen bislang ausgeschlossen und somit unsichtbar gemacht wurden.

Die Einsendungen können unter anderem die folgenden Aspekte betreffen, ohne auf diese limitiert sein zu müssen:

  • Wahrnehmungstheorien und Limitationen des Visuellen; Rezeptionsästhetik und Fragen der Lesbarkeit (technische oder soziale Codes)
  • Moderne und zeitgenössische Architekturen der Sichtbarkeit
  • Transgression von privaten / öffentlichen Räumen
  • Fallstudien zur Metaphorik der Transparenz und Opazität
  • Dokumentation und Selbstdarstellung: Social Media und Inszenierungen des Selbst
  • Interdisziplinäre Studien zur bildlichen Repräsentation und Mechanismen der Normierung und Marginalisierung (Kunst und Biopolitik, Sichtbarmachung der Diaspora, geschlechterkritische Darstellung)
  • Ästhetik des Entzugs bzw. der Überwachung und sozialen Kontrolle
  • Bildzensur und Ikonoklasmen in Moderne und Gegenwartskunst
  • Naturwissenschaftliche Verfahren der Sichtbarmachung und Evidenz
  • Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der Algorithmik und in digitalen Techniken der Datenverarbeitung, -kontrolle, und -verfolgung
  • Kanonbildung und Kanonkritik in der Wissenschaft, in kuratorischen Projekten und Kulturförderung

 

Vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklungen und methodologischen Herausforderungen sind interessierte Nachwuchswissenschaftler*innen eingeladen, sich mit einem Abstract (max. 350 Wörter) und kurzen CV für die Diskussion eines vorab zirkulierten Textes und einen Impulsvortrag (von 15 Minuten) bis zum 20. Juli 2020 per E-Mail (Betreff: Graduierten-Symposium, an: Sekretariat Kunstgeschichte der Moderne, julia.ahmad@culture.hu-berlin.de) zu bewerben.

Die Teilnehmer*innen werden bis zum 21. August 2020 informiert. Die Veranstaltung wird als digitaler Workshop online zugänglich gemacht.

 

English Version

CFP: Aesthetics of Visibility
Berlin/online, 20-21 Nov 20

Deadline: July 20, 2020

 

Berlin Graduate Symposium for Modern and Contemporary Art History

(Freie Universität Berlin / Humboldt-Universität zu Berlin)

organized by Prof. Dr. Eric C. H. de Bruyn, Prof. Dr. Eva Ehninger, Dr. des. Johanna Függer-Vagts, Dr. André Rottmann with Louisa Denker, Johanna Engemann, Frederik Luszeit, Henriette Marsden and Hanna Steinert.

In cooperation between the department of Modern and Contemporary Art at the FU’s Institute of Art History and the department of Modern Art History at the HU’s Institute for Art and Visual History the second joint Berlin Graduate Symposium for Modern and Contemporary Art History will take place in the winter semester 2020/21 – this time in a digital format.

The aim of the annual conference is to support advanced graduate students and PhD candidates in the early stages of their research by offering them an opportunity of exchange regarding planned and current research projects in the history and theory of artistic practices and visual phenomena from the mid-nineteenth century to the present. The event’s overriding topic will provide a common context for discussion.

Under the title “Aesthetics of Visibility,” artistic strategies and mechanisms of making things visible, as well as margins and borders inherent to visual representation will stand at the centre of this year’s graduate symposium. Representational media by no means serve only to render phenomena perceptible; they actually generate forms of invisibility just as well. Due to their function of mediating visual contents, the very means of representation are often rendered invisible. However, because this partial obfuscation is frequently reflected by and within images, specific historical epistemes of perception can be studied with recourse to works of art and pictures in general.

In this respect visibility is not to be equated with the term “opticality” which, within modernist aesthetics, has come to primarily describe a ‘pure’, disembodied mode of visual perception. Throughout 20th-century art historiography, the primacy of this term has continuously been critiqued with reference to tactile, acoustic or olfactory qualities as well as in light of its insufficient regard for the technical, political and social conditions of artistic practice. On a methodological level, the ongoing critique of visibility has led, for instance, to attempts to consider both the condition of being visible and the state of being seen, or to integrate imaginations of the invisible and in doing so has produced a reexamination of scopic and aesthetic regimes. Simultaneously, modernity’s dominant premise of the supposed ‘transparency’ of visual media has not only been critiqued as a mere historical ideal, but also increasingly been questioned as a category of analysis. Consider, for instance, Michel Foucault’s exemplary investigations of the ‘panoptic’ apparatus of visibility or the re-evaluation of the modernist aesthetics of glass architecture which translate the metaphor of transparency into built reality. In what specific ways and forms does the modern thematic of transparency present itself? How does this thematic sustain or transform the luminous metaphors of enlightenment or tap into an counter-history of darkness and shadows? The flip side of the ‘enlightened’ rhetoric of a utopian translucency can – with Foucault’s dictum “visibility is a trap” in mind – concurrently be described as a mechanism of screening and surveillance, of order and instrumentalisation.

The political potential of visibility is renegotiated in emancipatory movements where conventional practices of visualisation become problematized. In intersectional discourses such as Postcolonial Theory, Black Studies, Gender Studies, Queer Theory and Disability Studies, among others, the dominant functions and expectations of representation and documentation are called into question and made subject to re-alignments. The dichotomies of visibility – absolute visibility as a dystopia of social control and counter-movements towards political modes of self-representation – have entered the scope of research within art history and visual culture studies, exploring the complex modes of entanglement between phenomena and processes of ‘making’ or ‘becoming’ visible and/or invisible. Throughout the last decade, “Invisibility Studies” have explicitly addressed cultural phenomena of privacy, withdrawal and exposure. How can strategies of resistance or opposition that operate in between the visible and the clandestine be described? How do the operations of ‘blurring’, peripheral perception or the staging of digital erasure or muteness offer artistic opportunities to activate the registers of the invisible, secretive, opaque or subversive? Which actors and institutions are decisive in processes of visualization?; how and by whom can visibility be reclaimed or achieved and what is the role of medial, scientific, political and social contexts?

Entries can be concerned with the following aspects, without necessarily being confined to them:

  • theories of perception and limitations of the visual
  • modern and contemporary architectures of visibility
  • transgressions of private / public spaces
  • case studies on metaphors of transparency and opacity
  • aesthetics of reception (“Rezeptionsästhetik”) and questions of legibility (technical and social codes)
  • documentation and self-portrayal: social media and self-staging
  • interdisciplinary studies on pictorial representation and mechanisms of norming and marginalising (art and biopolitics, visualisation of diasporas, representation and gender)
  • aesthetics of withdrawal; surveillance and social control
  • censorship in visual media and iconoclasm in modern and contemporary art
  • methods of visualisation and evidence in the natural sciences
  • visibility and invisibility within algorithmic culture and digital techniques of data management, control and tracking
  • canon formation and critique in research and historiography, in curatorial practices and cultural funding

Against the backdrop of these historical developments and methodological challenges, interested early-stage researchers are encouraged to apply for the discussion of a previously distributed text and a short presentation of 15 minutes by sending an abstract of no more than 350 words and a short CV via E-Mail (subject: “Graduate Symposium”, to: Secretariat Modern Art History, julia.ahmad@culture.hu-berlin.de) until the 20th of July 2020.

All applicants will be informed until the 21st of August 2020. The event will be hosted online as a digital workshop.