Datum/Zeit
Date(s) - 09/12/2021
18:15 - 19:45
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Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte und der Mori-Ôgai-Gedenkstätte
Veranstaltungsort: Mori-Ôgai-Gedenkstätte, Luisenstr. 39, 10117 Berlin.
Der Vortrag findet digital über Zoom statt. Klicken Sie zur Teilnahme auf folgenden Link:
Meeting-ID: 693 9359 5833
Passwort: 445719
Dr. Andreas Nierhaus, Wien Museum
“Nach all dem hatte ich gestrebt”. Richard Neutra und Japan
Im Mai 1930 machte sich der seit 1923 in den USA lebende, in Wien aufgewachsene Architekt Richard Neutra (1892-1970) auf eine Reise zurück nach Europa. Im deutschsprachigen Raum hatte sich Neutra durch Bücher über amerikanische Architektur einen Namen gemacht; mit dem 1929 fertiggestellten “Lovell Health House” in den Hügeln oberhalb von Los Angeles konnte er nun auch einen spektakulären Bau vorweisen, der – erstmals in Amerika – die Möglichkeiten eines konsequent funktional und technisch-konstruktiv begründeten, mit der Natur verbundenen “Neuen Bauens” in vollem Umfang demonstrierte. Die Reise war als Vortragstournee geplant, mit der Neutra seinen internationalen Ruhm begründen sollte – sie half aber auch, eine durch die Weltwirtschaftskrise und den Mangel an Aufträgen ausgelöste finanzielle Durststrecke zu überbrücken.
Eine Einladung, auf dem Weg nach Europa auch in Japan Vorträge zu halten, führte dazu, dass Neutra die längere Route über den Pazifik wählte. Die notgedrungene Kürze des Aufenthalts in Japan tat der Dichte des Besichtigungsprogramms ebenso wenig Abbruch wie der Intensität der Eindrücke, die der Architekt dabei gewann. In ihrer Normierung, Typisierung und gestalterischen Reduktion erschien Neutra die Baukunst des traditionellen japanischen Wohnhauses gleichermaßen vertraut, wie ihm die Rituale, die sich darin abspielten, fremd waren. Neutras Blick auf Japan war zwar durch die im späten 19. Jahrhundert einsetzende intensive westliche Rezeption japanischer Kunst beeinflusst, im Vordergrund stand bei ihm jedoch ein geradezu anthropologisches Interesse an den Grundlagen moderner Architektur. Nachdem er sich bereits mit den Bauten der Pueblo-Indianer im Südwesten der USA auseinandergesetzt hatte, fand Neutra auch in Japan weitere Parallelen zu seinen eigenen architektonischen Absichten: „Alles war so unglaublich anders als meine eigene bisherige Umwelt und dennoch meinen Empfindungen über die Behandlung von Raum und Natur so nah” resümierte er dreißig Jahre später in seiner Autobiographie, und sah sich in seinen Zielen durch die in vielen Jahrhunderten verfeinerte, Bauen und Leben verschmelzende kulturelle Praxis bestätigt: “Nach all dem hatte ich gestrebt”.
Der Vortrag folgt den Spuren, die dieses frühe Japan-Erlebnis im architektonischen Denken Richard Neutras hinterlassen hat. Er beleuchtet sowohl die für den jungen Neutra prägende Japan-Rezeption im Kontext der Wiener Moderne, als auch die Auseinandersetzung mit Japan innerhalb des Neuen Bauens um 1930. Ausgehend von drei Beiträgen über traditionelles und neues Bauen in Japan, die Neutra 1931 in der Berliner Zeitschrift “Die Form” veröffentlichte, sowie den zahlreichen Japan-Bezügen in seinen autobiographischen und theoretischen Schriften, wird auch nach dem konkreten Einfluss auf die Bauten des Architekten gefragt. Das japanische Haus, so scheint es, diente Neutra zugleich als konkretes gestalterisches Vorbild wie auch als willkommene historisch-kulturelle Folie zur Legitimation seiner eigenen architektonischen Grundsätze, die er später im Konzept des “Biorealismus” zusammenfassen sollte.
Andreas Nierhaus: Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Wien; 2005-2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; seit 2008 Kurator der Architektursammlung des Wien Museums; 2019 Vertretungsprofessur für Kunstgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Forschungsschwerpunkte: Architektur im 19. und 20. Jahrhundert, Medien der Architektur, Architekturzeichnungen; Ausstellungen und Publikationen unter anderem über die Wiener Werkbundsiedlung (2012), die Wiener Ringstraße (2015), Otto Wagner (2018, 2020) und Richard Neutra (2020).
Architekturen der Begegnung
Japan und die ‚westliche‘ Moderne – Kapitel einer Verflechtungsgeschichte
Die interdisziplinäre Vortragsreihe Architekturen der Begegnung beschäftigt sich mit den Reisen von Architekt:innen und Künstler:innen von und nach Japan in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Angeregt durch das Konzept der Transkulturalität und die aktuellen Forschungen zu einer Kunstgeschichte des Kontakts (‚Transmoderne‘) sucht sie die Ergebnisse und Wirkungen solcher Reisen auf unterschiedlichen Ebenen auszuloten. In diesem Sinne werden die Entstehung persönlicher Netzwerke, die Dispositionen und Dynamiken kultureller Wahrnehmung, die wechselseitigen Prozesse bei konkreten Bauprojekten und auch die zunehmend mediale Form des Austauschs in den Blick genommen. Tatsächlich vermochten es viele dieser Reisenden, verbreitete Wahrnehmungsmuster hinter sich zu lassen und die Erfahrung kultureller Begegnung für ihr eigenes Schaffen langfristig fruchtbar zu machen.
Organisation und Umsetzung: Prof. Dr. Kai Kappel (Institut für Kunst- und Bildgeschichte) und Dr. Harald Salomon (Mori-Ōgai-Gedenkstätte)