Fundstück #20

#20 Der Schatten des Fotografen

Foto: Nikolaus Bernau (CC BY NC 4.0).

Die Aufnahme befindet sich in der umfangreichen Diasammlung, die der Architekturkritiker Nikolaus Bernau der Mediathek übereignet hat. Sie entstand wohl zu Anfang des Jahres 2002 im Hansaviertel am Westende des Tiergartens, das als Manifest einer neuen, demokratischen Architektur für die IBA 1957 errichtet worden war. Der Entwurf des Baus in der Händelallee 3-9 stammt von Walter Gropius und TAC (The Architects Collaborative, Cambridge/Mass.) sowie Wils Ebert.

Die tief stehende Sonne im Rücken des Fotografen führte dazu, dass dessen Schatten auf dem Bild zu sehen ist. Im Winter ist ein niedriger Sonnenstand häufig anzutreffen, weswegen diese Jahreszeit zunächst ungünstig für Architekturfotografien zu sein scheint. Andererseits leuchtet das flacher einstrahlende Licht Überdachungen, Gesimse und andere vorstehende Bauteile besser aus, als das bei hohem Sonnenstand der Fall ist. Vor allem aber bietet der Winter den Vorteil des fehlenden Laubs der Vegetation.

Davon ausgehend, dass der Schatten des Fotografen kein gewolltes Bildelement ist, könnte man sich fragen, warum dieser die Kamera nicht einfach etwas höher gehalten hat und damit – nebenbei – auch noch die Dachaufbauten links oben vollständig erfasst hätte. Wir wissen es natürlich nicht, aber es ist zu vermuten, dass er die Verzerrung der vertikalen Linien vermeiden wollte, die immer dann entsteht, wenn die Kamera nicht parallel zum Objekt – hier dem Bauwerk – platziert wird. Die parallel gehaltene Kamera bildet – zumindest bei einem Kamerastandpunkt nahe dem Straßenniveau – auf nahezu der gesamten unteren Bildhälfte den Boden ab. Die obere Bildhälfte ist hingegen vom Bauwerk ausgefüllt, das, je nach dessen Höhe, der Brennweite des Objektivs und dem Abstand der Kamera dennoch oben angeschnitten sein kann. Dafür entstehen aber keine „stürzende Linien“. Selbstverständlich erfordert die maximale Ausnutzung der Bildfläche in diesem Fall die Verwendung des Hochformats. Nikolaus Bernau hat unter den gegebenen Bedingungen also genau die richtige Kameraposition gewählt.

Nach dem gleichen Prinzip arbeiten auch sog. Fachkameras oder Shift-Objektive, bei denen das Objektiv gegen die Filmebene verschoben werden kann. Nur kann hier die vom Objektiv erzeugte Projektion mit der Filmfläche so zur Deckung gebracht werden, dass weiterhin fast die ganze Fläche genutzt wird. Bei unserem Beispiel ist hingegen ein Drittel der Fläche verloren, denn die Straße würde bei einer Weiterverwendung des Bildes einfach abgeschnitten werden. Beim vorliegenden Bild handelt es sich um ein Dia, also ein Unikat, das zunächst nicht weiter bearbeitet – in diesem Fall noch nicht einmal gerahmt – wurde. Erst für eine Projektion würde wohl der untere Bildrand abgeklebt oder zum Zweck eines Abzugs oder einer Druckvorlage anderweitig entfernt werden.

(GS)

Foto: Nikolaus Bernau (Ausschnitt) (CC BY NC 4.0)

(Link zum Datensatz: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/view.php?ref=45826)

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