Fundstück #47

#47 Tauschgeschäfte

Abb. 1. Negativ (invertiert gezeigt) mit Aufnahme einer 1957 von der Eremitage erbetenen Fotografie auf Reprostaffelei (Paulus Potter, Wolfshund, um 1650). Vom Negativ kopiertes Diapositiv. (Digitalisate: Mediathek des IKB)

Diesen Fund haben wir im Universitätsarchiv gemacht. Zunächst geht es um Fotoabzüge für eine Ausstellung. Aber am Ende sind auch wieder die Glasdias der Lehrsammlung involviert.

Der Schriftverkehr des Instituts in den 1950er Jahren enthält – nicht überraschend – umfangreiche Korrespondenz mit akademischen oder kulturellen Einrichtungen in der Sowjetunion. Neben Schriftstücken zu Vortragseinladungen, Lehraufträgen, oder Forschungsaufenthalten finden sich auch Vereinbarungen über den Austausch von Bildmaterial. Die Korrespondenz wurde überwiegend auf Russisch geführt; die deutschen Textentwürfe der Berliner Seite, die in Übersetzung abgeschickt wurden, liegen den Akten bei. Ihr Ton ist auffallend zuvorkommend, fast devot.

In einem Briefwechsel von 1957, den Edgar Lehmann (vgl. Fundstück #40) als damaliger Institutsleiter führte, wird vereinbart, dass das Berliner Institut Aufnahmen von Werken aus der Eremitage in (damals) Leningrad erhält und dafür eine Auswahl an Aufnahmen altdeutscher Malerei (Cranach) und von Baudenkmälern aus Thüringen und Sachsen-Anhalt (Erfurt, Magdeburg) schickt.
Der deutschsprachige Entwurf der ersten Anfrage, der dann noch weitere Korrespondenz folgte, ist hier vollständig wiedergegeben (Universitätsarchiv HU, Phil Fak. Dekanat 0121):

26. Sept. 1957
An den Stellvertretenden Direktor
der Staatlichen Eremitage
Dr. W.F. Levinson-Lessing
Leningrad

Sehr geehrter Herr Dr. Levinson-Lessing!

Das Kunstgeschichtliche Institut der Humboldt-Universität Berlin gestattet sich, an Sie mit der Bitte heranzutreten, ihm beim Aufbau einer Ausstellung mit Photos von Werken der Staatlichen Eremitage zu helfen. Die Ausstellung findet in den Räumen des Instituts statt während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Wladimir Franzowitsch, uns die Photos bis zum 1. November zuzuschicken. Es handelt sich um ungefähr 35 Stück, im Format 24/30. Im Austausch dafür senden wir Ihnen Photos von Werken deutscher Kunst. Die Liste der benötigten Photos hat Ihnen unser Assistent Herr Hallmann in einem persönlichen Briefe an Sie geschickt.
Wir wären Ihnen, sehr geehrter Wladimir Franzowitsch, für die Erfüllung unserer Wünsche sehr dankbar.

Prof. Dr. Lehmann
Direktor des Instituts

Abb. 2. Ausschnitte der Listen der gewünschten und der als Gegenleistung angebotenen Aufnahmen (Universitätsarchiv HU, Phil Fak. Dekanat 0121)

Eine bei diesem Briefentwurf befindliche Liste (vgl. Abb. 2 li.) gibt darüber Auskunft, dass es sich bei den aus der Sowjetunion erbetenen Aufnahmen nicht etwa um Werke proletarischer Kunst oder der Avantgarde irgendeiner Art, sondern um Klassiker der (west-)europäischen Malerei handelt. Darunter finden sich Werke von italienischen Meistern wie Leonardo, Raffael, Giorgione, Tizian, Caravaggio, von niederländischen Meistern wie Rogier van der Weyden, Brueghel, Rubens, Rembrandt und Ruisdael sowie von französischen Meistern wie Claude, Poussin, Watteau und Daubigny.

Diese Auswahl bewegte sich vollständig im Rahmen traditioneller Kunstgeschichtsschreibung und hätte auch schon um 1900 oder 1930 Interesse gefunden. Auch hier zeigt sich wieder, dass das sozialistische Lehrprogramm mit dem Kanon der älteren Kunst keine grundsätzlichen Schwierigkeiten hatte.

Zusätzlich wurden sieben Aufnahmen der Bauten und Räume des Eremitage-Museums erbeten, die wohl die Ausstellung ergänzen sollten, darunter auch ein Bild der Neuen Eremitage von “Hugo von Klenze” (tatsächlich Leo von Klenze).
Von den zugesandten Fotoabzügen, deren Verbleib bislang nicht bekannt ist, wurden noch im gleichen Jahr Dias angefertigt, die sich bis heute in der Glasdiasammlung befinden. Auch die dafür hergestellten Repronegative sind zum großen Teil noch auffindbar. Auf ihnen ist sichtbar, wie die Fotoabzüge vom Institutsfotografen mit Glasplatte und Klammern vertikal an einer Holztafel fixiert wurden, um dann abfotografiert zu werden – was der Hund des bekannten Gemäldes von Paulus Potter scheinbar ungerührt über sich ergehen lässt.

Das Negativ gibt uns mit seinem üppigen Rand beiläufig einen Einblick in das Reprostudio des Institutsfotografen. Der Ausschnitt war jedoch kein Zufall, sondern auf dem 9 x 12 cm großen Negativ absichtlich so gewählt, damit die abgebildete Fotografie die richtige Größe für das 8,5 x 10 cm messende, per Kontaktkopie hergestellte Dia hatte (Abb. 1).

Die mit diesen Reproaufnahmen und Diakopien vorgenommene Erweiterung der Lehrsammlung war wohl eher ein Nebeneffekt, da für einige der Werke bereits ältere Dias vorhanden waren. Die Repronegative erhielten – soweit sie bislang identifiziert werden konnten – Nummern von 7100 aufwärts, mit denen nach dem damaligen Verfahren auch die davon kopierten Glasdias versehen wurden (vgl. Fundstück #41).

Die Aufnahmen, die der Eremitage als Gegenleistung zugesichert wurden, sind ebenfalls in einer Liste dokumentiert (Abb. 2 re.). Sie wurden laut einer Notiz am 1. 11. 1957 abgeschickt. Bei der offenbar nicht angefragten, sondern vom Berliner Institut selbst angebotenen Auswahl handelt es sich um eher regional bedeutende Werke des Mittelalters und der Renaissance, die – ohne dem Erfurter Dom oder Lukas Cranach zu nahe treten zu wollen – gegenüber den international bekannten Spitzenstücken der Eremitage eher wie das Mitbringsel eines Regionalpolitikers wirken.

Allerdings wäre es auch schwierig gewesen, die hochwertige internationale Kunst der Berliner Sammlungen in neuen Aufnahmen zum Tausch anzubieten, da diese nach 1945 die Sowjetunion abtransportiert worden war – wenn sie nicht ohnehin als vernichtet angesehen werden musste, wie im Fall der großformatigen Werke der Berliner Gemäldegalerie, die nach Kriegsende im Flakbunker Friedrichshain verbrannt waren.

Zwar hatte der Ministerrat der Sowjetunion schon im März 1955 herausragende Werke, darunter Raffaels Sixtinische Madonna, an die Gemäldegalerie Dresden „als Freundschaftsgeste an den Militärpartner DDR“ zurückgegeben. Aber die große Welle der Restitutionen erfolgte erst 1958, also im Jahr nach unserem Bildertausch, mit insgesamt über zwei Millionen Objekten, die der Berliner Museumsinsel und den Dresdener Museen wieder übereignet wurden (Qu. Kulturstiftung der Länder, Projekt Verlust-Rückgabe).

Angesichts dieser Situation der Unsicherheit der Kunstsammlungen der DDR konnten die kleine Fotoausstellung im Institut und der damit verbundene Bildertausch nicht unbelastet gewesen sein. Bei einer Vorstellung der Eremitage anhand bedeutender Werke, war es gar nicht vermeidbar, daran zu denken, dass gleichzeitig ähnlich bedeutende Werke aus Berliner Bestand in den dortigen Depots lagerten. Das zu thematisieren oder gar zu kritisieren war selbstverständlich völlig ausgeschlossen.

Es bleibt zu fragen, warum gerade bekannte Meister der (West-)Europäischen Kunstgeschichte ausgewählt wurden. Wollte man sich – über eine bloße Anbiederung hinaus – im Zuge der immer geringer werdenden und bald völlig verschwundenen Reisemöglichkeiten versichern, dass der Zugang zu westlicher Kunst auch über die Sowjetunion möglich sei?

Ob die in den Institutsräumen geplante Ausstellung tatsächlich durchgeführt wurde, wie sie aussah, ob hierfür etwa Texte verfasst wurden und ob es Begleitveranstaltungen gab, ist nicht bekannt. Erneut hinterlässt unser Fundstück zahlreiche Fragen, die noch zu erforschen sind.

(G.S.)

(Datensätze aller bislang aufgefundener, zum Vorgang gehöriger Dias: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection606106 )

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.