Fundstück #32

#32 Kleine Ziffern

Diapositiv mit Aufrisszeichnungen der Ost- und Westansicht von St. Godehard in Hildesheim

Abb. 1. Dia mit Abbildung von Aufrisszeichnungen der Ost- und Westansicht von St. Godehard in Hildesheim (nach Kunstdenkmälerinventar Hannover 1911), Handschrift unbekannt, um 1911/15. Digitalisat: Mediathek des IKB.

Dass die auf den Dias vermerkten Inventar- oder Eingangsnummern eine große Rolle für die Erschließung und Erforschung der Lehrbildsammlung spielen, wurde hier schon mehrfach erwähnt (vgl.Fundstück 30). Unser heutiges Fundstück wirft, wie weiter unten beschrieben wird, hingegen die Frage auf, welche Funktion diese Nummern im seinerzeitigen Diatheksbetrieb über die Herstellung- oder Erwerbungsprozedur hinaus gehabt haben könnten. Eine eindeutige Antwort darauf – das sei vorab schon verraten – haben wir bislang nicht.

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Inventarnummern für die Aufstellung der Dias keine Rolle spielten, denn dadurch wäre eine thematische Willkür entstanden. Eine solche, „mechanische“ Aufstellung hätte im Praxisbetrieb nur Sinn gemacht, wenn es einen eigenen Katalog zum Auffinden der thematisch passenden Dias gegeben hätte. Hierauf deutet nichts hin und das wäre für eine kunsthistorische Lehrbildsammlung auch untypisch, denn man sollte – ebenso wie in der Institutsbibliothek – vor Ort möglichst schnell etwas finden. Anders hingegen in den großen wissenschaftlichen Zentrakbibliotheken, die bis vor wenige Jahrzehnten nur mit Magazinbetrieb arbeiteten: Hier musste zunächst die betreffende Nummer im Bibliothekskatalog ermittelt werden und das Buch wurde dann vom Personal im Magazin ‚ausgehoben‘. Im Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität stehen die ehemals magazinierten kunsthistorischen Altbestände heute frei. Man sieht aber sofort: Ohne Katalog würde man hier nichts finden; „Kunst 665:82:F8“ sagt nur etwas über Format und Erwerbungsreihenfolge aus. Daher steht auch neben keinem Buch ein thematisch passendes, sondern links dasjenige, das zuvor und rechts dasjenige, das anschließend erworben und eingestellt wurde.

Zurück zu den kunsthistorischen Lehrdias. Sie waren wohl immer inhaltlich geordnet: Nach Kunstlandschaften, -gattungen und -epochen sowie am Ende alphabetisch nach Orten und Namen. Wenn einmal mehrere Inventarnummern nebeneinander zu stehen kamen, dann nur deswegen, weil mehrere Dias zu einem Objekt in einem Auftrag angefertigt wurden.

Allerdings scheinen die Eingangsnummern bei den Lehrdias offenbar noch im weiteren Verlauf der Nutzung eine gewisse Rolle gespielt zu haben. Das muss man daraus schließen, dass sie – und das ist der kleine, aber interessante Punkt bei unserem aktuellen Fundstück – in manchen Fällen, als sie unlesbar zu werden drohten, in Bleistift noch einmal an anderer Stelle neu angegeben wurden.

Beschriftung

Abb. 2. Auschnitt der Beschriftung mit nachgetragener Inventar-/Eingangsnummer. Digitalisat: Mediathek des IKB.

Bei unserem Beispiel ist die ganz am rechten unteren Rand des Papieretiketts in roter Tinte geschriebene Nummer durch das häufige Einschieben des Dias in den Projektor fast vollständig abgerieben. Heute kann nur noch durch die Bleistiftnotiz nachvollzogen werden, dass es sich um die Nummer 19610 handelte (Abb. 2). Nach unseren bisherigen Kenntnissen wurde diese Nummer um 1913 vergeben. Das Dia zeigt die Ost- und die Westansicht der Benediktiner-Klosterkirche St. Godehard in Hildesheim in Form von Aufrisszeichnungen aus dem 1911 erschienenen Kunstdenkmäler-Inventar der Provinz Hannover. Es wurde vom beauftragten Fotografen als Repro angefertigt, vielleicht – hier kann momentan nur spekuliert werden – für die Vorlesung „Die Kunst des Mittelalters“ von Max Georg Zimmermann im Winter 1911/12, oder für die „Deutsche Architektur im Mittelalter“ von August Grisebach im Sommer 1915. Da es sich um einen bedeutenden Bau handelt, wurde das Dia im Rahmen der Lehre der mittelalterlichen Architekturgeschichte offenbar weiterhin häufig gezeigt und dabei deutlich abgenutzt.

Für welchen Zwecke nun die Nummer im Betrieb weiterhin relevant war, so dass sie noch einmal lesbar notiert werden musste, wissen wir (noch) nicht: Denkbar wäre eine Bedeutung bei Bestandsrevisionen, oder auch einfach als Identifizierungsmöglichkeit, etwa für die Ausleihe, die vielleicht in einem – ebenfalls nicht erhaltenen – Ausleihbuch mit der betreffenden Nummer vermerkt worden sein könnte. Oder war hier bereits historisches Interesse am Werk, das die relative Zeitstellung des Dias für die Nachwelt überlierfern wollte? (G.S.)

(Datensatz zum Dia: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/view.php?ref=59580)

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