Nachruf Prof. Dr. Michaela Marek (22. August 1956 – 24. September 2018)
„Frau Marek war einfach immer da.“ Treffender, als mit diesen Worten eines Doktoranden, kann man die Präsenz von Prof. Dr. Michaela Marek am Institut für Kunst- und Bildgeschichte nicht beschreiben. Seit sie 2013 die Professur für Kunstgeschichte Osteuropas übernommen hatte, war sie da – für die Studierenden, für die Kolleginnen und Kollegen, für das Institut, für die Universität, für ihr Fachgebiet die Kunstgeschichte Ost- und Ostmitteleuropas. Sie verstarb am 24. September 2018 nach kurzer schwerer Krankheit.
Michaela Marek war eine Wissenschaftlerin und Lehrerin von außergewöhnlicher intellektueller Schärfe. Enormes Wissen sowie analytische, begriffliche und sprachliche Präzision verbanden sich in ihr mit einer stets erkenntnisgewinnenden Skepsis gegenüber allzu raschen, scheinbar schlüssigen Antworten und Ergebnissen. Die Gewissheit, dass es immer nur Annäherungen an eine Antwort geben kann, war für sie keine Begrenzung, sondern Ansporn. Ihre Neugier und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen analytischen Zugängen war ansteckend und inspirierend. Sie konnte ganz in der Anschauung eines Gegenstandes versinken und blieb doch immer kritisch gegenwärtig und der Welt zugewandt. Darin lag ein unbedingter Lebenswillen, der auch dann noch nicht verschwand, als die Krankheit bereits unheilbar von ihr Besitz ergriffen hatte.
Michaela Marek lebte dabei die Überzeugung, dass die Kunst- und Bildgeschichte über methodische, analytische und begriffliche Mittel verfügt, mithilfe derer das Fach einen ganz eigenen Beitrag zum Verständnis historischer Prozesse zu leisten vermag. In beeindruckender Souveränität wusste sie, die Register kunsthistorischer Analyse zu bedienen und zugleich den Erkenntnisraum zu weiten. Stets problemorientiert, verstand sie es in außergewöhnlicher Weise, die Möglichkeiten anderer Disziplinen zu prüfen, um dem Gegenstand neue Sichtweisen, Differenzierungen und wiederum neue Fragen abzugewinnen. Michaela Marek hat die jüngere Kunstgeschichte des östlichen Europas maßgeblich geprägt. Ihre intellektuelle Schärfe, ihre Fähigkeit zum interdisziplinären Brückenschlag und ihre Bemühung um Breitenwirkung des Fachgebiets hat neue Weichen gestellt, die noch lange nachwirken werden.
Das ihr so eigene methodisch und begrifflich hochpräzise wissenschaftliche Denken entwickelte Michela Marek zunächst in der Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissance. Sie beendete ihr Studium der Kunstgeschichte, der Romanistik und Psychologie (Köln, London, Rom) mit einer Dissertation zu „Ekphrasis und Herrscherallegorie. Antike Gemäldebeschreibungen im Werk Tizians und Leonardos“ (1985). Anschließende Studien führten sie abermals nach Rom und Florenz, wo Arbeiten zu Werken von Fra Angelico, Raffael und Tizian entstanden. Auch wenn sich das Forschungsinteresse Michaela Mareks bald schon auf neue Gegenstände, Zeiten und Räume verschieben sollte, so blieb die Kunst der italienischen Renaissance in ihrer Lehre doch stets gegenwärtig. So vermittelte sie Jahrzehnte später den Teilnehmern einer Exkursion in der Analyse der Fassade des Facettenpalastes im Moskauer Kreml, der Ende des 15. Jahrhunderts von italienischen Baumeistern errichtet worden war, wie künstlerische Transformationsprozesse und deren politische und gesellschaftliche Dimensionen formal zum Ausdruck kommen können.
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Herder-Institut in Marburg (1986-1992) und anschließend im Collegium Carolinum in München (1992-2000) erschloss sie sich mit der Kunst- und Architekturgeschichte Ostmitteleuropas ein neues Forschungsfeld. Sie entwickelte dabei eine hohe Sensibilität für die historische Bedingtheit von Forschung. Das Beschreiben der gesellschaftlichen Dimensionen kunstgeschichtlicher Diskurse war Michaela Marek nicht allein historische Praxis. Es diente ihr dazu, Denk- und Argumentationsmuster aufzuspüren, deren Kritik zugleich neue Forschungsperspektiven ermöglichte. Ihre zahlreichen Studien zur Kunst- und Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in Böhmen und den beiden Tschechoslowakischen Republiken, darunter ihre Habilitationsschrift „Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Prozess der tschechischen Nationsbildung“ (veröff. 2004), sind Standardwerke und hochreflektierte grundsätzliche Versuche, die Erkenntnispotentiale kunsthistorischer Forschung methodisch auszuloten und zu erweitern.
Die Universität war im wahrsten Sinne des Wortes ihre Berufung. Michaela Marek war mit ganzer Seele Lehrerin, Mentorin und Kollegin. Im Jahr 2000 übernahm sie die Professur für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt auf Ostmittel- und Osteuropa an der Universität Leipzig. An das Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin wurde sie 2013 berufen. Sie war sofort da. In nur fünf Jahren verlieh sie der Professur für Kunstgeschichte Osteuropas nach einer langen Vakanz ein neues Profil. Ihre fachliche Kompetenz, ihre Lehre, Forschungs- und Publikationsprojekte und ihre Nachwuchsförderung machten die Professur zu einem internationalen Anlaufpunkt für die Kunstgeschichte Ost- und Ostmitteleuropas. In nur fünf Jahren prägte sie das Institut durch institutionelle Weitsicht, unbedingte Verbindlichkeit und Aufmerksamkeit für die Belange der Kolleginnen und Kollegen. Zugleich engagierte sie sich ruhelos für die Universität.
Michaela Marek war in fachlichen und professionellen Fragen von unnachgiebiger Klarheit. Wer bei ihr in die Schule ging, lernte präzises Arbeiten, genaues Sehen und vor allem: hinterfragen, denken, reflektieren – lernte, seinen Verstand eigenständig, mit Neugier und zugleich verantwortungsbewusst zu gebrauchen. Sie war in bewundernswerter Weise mit Herz und Verstand Kunsthistorikerin, Kollegin, Lehrerin und nicht zuletzt auch Freundin, die von sich selbst mehr forderte als sie von anderen erwartete.
Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin
Berlin, den 2. Oktober 2018
Das Institut für Kunst- und Bildgeschichte richtet am 25. Januar 2019 eine akademische Feier in Gedenken an Prof. Dr. Michaela Marek aus.