Fundstück #27

#27 Trümmerbilder im Nachkriegs-Berlin

Glasdias mit Aufnahmen von Kirchenruinen in Syrien

Glasdias mit dem Firmenzeichen der Fa. Stoedtner, ca. 1949: Abbildungen syrischer Kirchenbauten als Repro-Fotografien u.a. aus Butler, Howard Crosby: Architecture and other arts (Publications of an American Archaeological Expedition to Syria in 1899 – 1900), New York 1903. Digitalisate: Mediathek des IKB.

Leopold Giese (Halle/Saale 1888 – Berlin 1968) – sowohl Dr. Ing. als auch Dr. phil, letzteres mit einer Dissertation über hochmittelalterliche Lettnertypen bei Adolph Goldschmidt – lehrte seit 1924 als Privatdozent und seit 1932 als außerordentlicher Professor an der Berliner Universität. Aufgrund seiner Ehe mit einer Jüdin wurde er 1937 entlassen. Er war einer der wenigen in die Arbeitslosigkeit geschickten Personen des Instituts, die weiterhin in Berlin blieben und wohl der einzige, der nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur erneut (von 1945 bis 1957) an der wiedereröffneten Humboldt-Universität tätig werden konnte. Dies allerdings nur zeitweilig als “Professor mit Lehrauftrag” und in den letzten Jahren nur als “Mitarbeiter”, wie den Personal- und Vorlesungsverzeichnissen zu entnehmen ist. Der Architekt und Architekturhistoriker las vorwiegend zu architekturhistorischen Themen, bot aber auch Themen zur mittelalterlichen Kunst im Allgemeinen, der Skulptur und der Malerei an.

Im Wintersemester 1949/50 hielt er (Di 10-12) eine Vorlesung zum “System der kirchlichen Baukunst frühchristlicher Zeit im Osten (Syrien, Afrika, Kleinasien, Byzanz)”. Sie stellte die dritte einer Reihe von insgesamt drei Lehrveranstaltungen zur Entwicklung und Typologie des frühen christlichen Kirchenbaus dar, und es könnte gemutmaßt werden, dass Giese in dieser Zeit eine größere Studie zur Entwicklung des frühen Kirchenbaus plante. Solche Überblicksdarstellungen mit dem Anspruch einer vollständigen Entwicklungsgeschichte waren ein zeittypisches Format – in deutscher Sprache am prominentesten vertreten mit Friedrich Wilhelm Deichmanns “Versuch einer Darstellung der Grundrisstypen des Kirchenbaues in frühchristlicher und byzantinischer Zeit im Morgenlande auf kunstgeographischer Grundlage” von 1937. Den Bauten in Syrien kam gerade aus mitteleuropäischer Sicht in einer solchen Entwicklungsperspektive ein besonderes Interesse entgegen, zeigen sie doch schon im 5. und 6. Jahrhundert gewölbte Quaderbauten, wie sie sich nördlich der Alpen erst nach dem Jahr 1000 („Kaiserdome“, „Romanik“) entwickelten.

Nur in Einzelfällen können Dias einer bestimmten Lehrveranstaltung zugeordnet werden. Aufgrund des spezifischen Themas und der Zeitstellung der Dias sowie der Art des Institutsstempels ist dies hier wohl möglich. Zwar hatten Oskar Wulff und Adolph Goldschmidt schon seit den 1910er Jahren gelegentlich kleinasiatische Kirchenbauten behandelt, aber für die Veranstaltung von Leopold Giese wurden offenbar neue Dias bei der Firma Stoedtner erworben. Allerdings handelt es sich bei den Aufnahmen nicht um eigene Aufnahmen Stoedtners, sondern um Reproduktionen aus den Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen Publikationen Howard Butlers, wie auch die in Bleistift nachgetragenen Kürzel mit Band- und Seitenangaben bestätigen. Vielleicht handelte es sich auch um einen eigenen Reproduktionsauftrag seitens des Instituts, da die Dias weder eine Bestellnummer tragen, noch eine maschinenschriftliche Objektbezeichnung aufweisen, wie sie damals bei Stoedtner bereits üblich war. Franz Stoedtner, der Fotograf und Firmengründer lebte damals ohnehin nicht mehr, er verstarb im Januar 1946. Aber die Firma befand sich noch bis 1949 in Berlin, wie auch die – vielleicht noch eine gewisse Zeit weiter verwendeten – Aufkleber mit Berliner Anschrift („Berlin N54“) zeigen, bevor sie von der Witwe Stoedtners nach Düsseldorf transferiert und dort zunächst unter gleichem Namen weiter betrieben wurde (vgl. Fundstück #11). Noch nicht deuten konnten wir die ebenfalls handschriftlich aufgebrachten Kürzel „RP“, jeweils verbunden mit einer Zahl, die möglicherweise Aussagen über die Bildreihenfolge innerhalb der Vorlesung machen.

Es war hier aber eher die Bildsprache, die unser Interesse für diese Fundstücke weckte: In Syrien und an anderen Orten des östlichen Mittelmeerraumes zeigen sich die Ruinen spätantiker Kirchenbauten, ja ganzer Städte, besonders eindrucksvoll. Aufgrund der Wüstenumgebung mit geringer Vegetation und reduzierten Witterungseinflüssen sehen die Bauten oft so aus, als seien sie gerade erst zerstört worden, obwohl dieser Zustand schon seit Jahrhunderten besteht.

Zur Zeit der Vorlesung lag Berlin ebenfalls in Trümmern. Auch noch im Jahr 1949 präsentierten sich auf Schritt und Tritt allenfalls spärlich bewachsene Ruinengrundstücke. Auch viele Gebäude der Humboldt-Universität waren zerstört oder beschädigt.
Wie müssen die Bilder in der damaligen Berliner Lebenswelt gewirkt haben? War die wissenschaftliche Beschäftigung mit lang zurückliegenden Architekturepochen eine völlig unabhängige Parallelwelt? Oder wurde die mächtige Bildverwandtschaft wahrgenommen, thematisiert, oder spielte sie sogar eine Rolle bei der Wahl des Themas? (GS)

(Link zu den Datensätzen: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection601069)

Zur Hauptseite der Fundstücke

Aufruf aller bisherigen Fundstücke: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/category/fundstück/

Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de)