Fundstück #44

#44 Einem geschenkten Gaul…

Diapositive der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm bzw.der Reichsanstalt für Film und Bild in Unterricht und Wissenschaft (links u. mittig mit Signet RfdU – 1934-1940, rechts mit Signet RWU – ab 1940). Fotos: W. Hege, R. Bothner, unbekannt; Digitalisate: Mediathek des IKB.

Die Lehrbildsammlung enthält zahlreiche Dias, die von einer Organisation hergestellt oder vertrieben wurden, die 1934 als „Reichsstelle für den Unterrichtsfilm“ (RfdU) durch den Reichsminister für Wissenschaft und Volksbildung, Bernhard Rust, gegründet wurde. Sie war vor allem auf das neue Medium des Films ausgerichtet. Jedoch spielte die Fotografie ebenfalls eine ebenso große, ja sogar zunehmende Rolle, wie auch in der 1940 erfolgten Umbenennung in „Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ (RWU) zum Ausdruck kommt. Gründe dafür waren die gegenüber dem Film günstigeren Kosten und die vielfältigeren Möglichkeiten der Verbreitung. Neben der Herstellung von Film- und Bildmaterial bestand die wichtigste Funktion der Reichsstelle/Reichsanstalt in der Auswahl und dem Vertrieb des Materials.

Primäres Ziel war die Versorgung von Bildungseinrichtungen mit visuellem Material. Dabei sollten die Leistungen des „Deutschtums“ im Allgemeinen und des nationalsozialistisch geführten Staates im Besonderen vermittelt werden. Im Bereich der Kunstgeschichte drückte sich diese Absicht in romantisierenden Stadtansichten und Abbildungen von Kunstwerken aus, die die Leistungen und die prägende Rolle deutschen Kulturschaffens – besonders auch in Gebieten am Rand oder außerhalb des „Reiches“ – zeigen sollen.

Ein Teil der Bilder ist mit vorgedruckten Etikettierungen versehen, die sich auf den Produktionsprozess („Vom Original“, „Vom Doppelnegativ“) oder auf bestimmte Zusammenstellungen („Musterreihe“, „Schul-Kernreihe“, Abb. rechts) beziehen. Gelegentlich geht aus zusätzlichen Kennzeichungen hervor, dass die jeweilige Aufnahme von einem externen Fotoverlag bzw. einer Bildagentur (bspw. Benzinger, Seemann, Stoedtner, Foto Marburg) geliefert wurde. Seltener wird dabei auch der Name eines Fotografen angegeben (bspw. Robert Bothner für die Württembergische Bildstelle, vgl. Abb. Mitte). Ob die Reichsstelle/Reichsanstalt überhaupt eigene Fotograf:innen beschäftigte, oder das Material grundsätzlich bei anderen Agenturen in Auftrag gab oder erwarb, haben wir bislang nicht ermittelt. Generell ist das kunsthistorische und volkskundliche Bildprogramm der Einrichtung noch zu erforschen.

Der Umstand, dass diese Dias in unserer Sammlung fast alle einen Nachkriegsstempel tragen, deutet darauf hin, dass sie erst nach der Wiedereröffnung der Berliner Universität 1946 in den Bestand gelangten. Andernfalls hätten sie bereits einen Vorkriegsstempel erhalten, denn es kann davon ausgegangen werden, dass Dias, die zwischen 1931 und dem Kriegsende eingegliedert wurden, generell mit einem zeitgenössischen Stempel versehen wurden (vgl. Fundstück #30).
Warum aber Bildmaterial aus der nationalsozialistischen Erziehungsbürokratie in der sozialistischen Universität? Es kann nur vermutet werden, dass die professionell komponierten – zuweilen den Bildgegenstand inszenierenden, jedoch per se harmlosen – Aufnahmen in ihrer dokumentarischen und fotografischen Qualität weiterhin als nützlich angesehen wurden. Möglicherweise waren kritische Bilder vorab ausgesondert worden.

Nicht deswegen, weil in Berlin mit Richard Hamann ein älterer Fachvertreter verantwortlich war, sondern weil die Kenntnis der kanonischen Hauptwerke grundlegender Teil des Curriculums blieb, bestand weiterhin Interesse an Abbildungen der Werke der älteren Kunstepochen. Ein vorwiegend bild- oder fotohistorisches Interesse kann hingegen ausgeschlossen werden. Dann wären die Dias nicht jeweils unter den Bildinhalten einsortiert, sondern als „Fotografie des NS-Bildungswesens“ (o.ä.) geschlossen aufgestellt worden.

Da die Reichsstelle bzw. Reichsanstalt zahlreiche regionale Agenturen unterhielt, können keine Rückschlüsse gezogen werden, woher das in unserer Sammlung befindliche Material konkret stammt. Wie die wenigen – und vielleicht vom späteren universitären Einsatz stammenden – Gebrauchsspuren zeigen, waren die Dias jedenfalls gut erhalten und konnten vermutlich umsonst erworben werden. Man mag sich damals also am Sprichwort orientiert haben: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Ein kleiner Hinweis darauf, dass man sich nicht ganz wohl mit der Herkunft des Material fühlte, ist nur die gelegentliche, fast verschämt wirkende Übermalung des Signets der Reichsstelle mit rotem oder blauem Farbstift (vgl. Abb. rechts).

(G.S.)

(Datensätze zum Objekt: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%2C+%40%4025808)

Zur Hauptseite der Fundstücke

Aufruf aller bisherigen Fundstücke: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/category/fundstück/

Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.