Katastrophen als ikonisches Erkenntnismodell (Forschungsprojekt)
In der europäischen Kunstgeschichte finden sich ab der Zeit um 1750 eine reiche Anzahl von Bildern, die Erdbeben, Vulkanausbrüche, Lawinenabgänge, Gewitter, Sturm, Blitzschlag, Schiffbrüche oder Stadtbrände darstellen. Auffällig ist nicht nur die stark gestiegene Anzahl dieser Motive gegenüber früheren Zeiten, die angesprochenen Bilder sind nicht selten in Format und Ausführung repräsentativer als frühere Beispiele. Zu dieser Gruppe von Kunstwerken können durch gestalterische Nähe auch Bilder von Verkehrsunfällen, Kriegen und Terroranschlägen der technischen Bildmedien zählen.
Ziel des Projekts ist eine Einführung des Begriffs der Katastrophe in die Bildwissenschaft. Damit wird gleichsam das Bild, das sich die Menschen von einer Katastrophe gemacht haben, durch die vergangenen 250 Jahre beschrieben. Die Interpretation der verschiedenen Ereignisse als Katastrophen läßt sich in den verschiedenen Bildmedien (Flugblatt, Illustration, Gemälde, Fotodokumentation, Fernsehbild, Videoinstallation) nachvollziehen. Die schrittweise Verlagerung vom Erdbeben von Lissabon (1755) als erster großen Naturkatastrophe, die sofort und umfassend von den Geisteswissenschaften interpretiert wurde, zu den Zivilisationskatastrophen, die im technischen Zeitalter zwar vom Menschen geschaffen wurden (Atombombe), aber aufgrund ihrer übermächtigen Zerstörungskraft gleichwohl als Katastrophen interpretiert werden, gilt es nachzuzeichnen.
Das Forschungsprojekt sieht Bilder von Katastrophen nicht bloß als Illustration eines katastrophalen Ereignisses an, sondern war bestrebt nachzuweisen, daß die (bildliche) Interpretation eines Ereignisses als Katastrophe auf den Charakter des zugrunde liegenden Ereignisses einwirkt.
Der auffällig hohe Bildbestand des 19. Jahrhunderts wurde auf eine vergleichbare Bildstruktur hin untersucht. Da zum Beispiel Stadtbrände mit Schiffbrüchen oder Vulkanausbrüchen verglichen werden, ging es nicht um den Bildgegenstand allein, sondern um die übergeordnete Bildwirkung. Die methodische Herausforderung lag darin, daß die Unterschiede auf der motivgeschichtlichen Ebene zu groß sind, um von einer Katastrophenikonographie zu sprechen. Die Vergleichbarkeit besteht dagegen in der Verbildlichung der einzelnen Ereignisse als Katastrophen. Die leitende Frage ist, wodurch verschiedene Bildthemen als Katastrophe wirken können? Welche Bildstrategien werden angewendet, damit der Rezipient das dargestellte Ereignis als Katastrophe begreift?
Anhand der ausgearbeiteten Bildstrategien wird in einem weiteren Schritt die Katastrophe als ikonisches Erkenntnismodell erkennbar. Das heißt, daß nicht die Bilder die Katastrophen dokumentieren, sondern umgekehrt verschiedene Ereignisse durch ihre bildliche Repräsentanz als Katastrophen gesehen werden.
Das Projekt wurde gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung.
Bearbeiter
Publikation
Katastrophen. Ihre Entstehung aus dem Bild
Berlin (Wagenbach) 2013.