Klimagipfelkunst. Kunst und politisches Event, 1972-2022

Klimagipfelkunst. Kunst und politisches Event, 1972 – 2022

Projektleitung: Dr. Linn Burchert

studentische Mitarbeiterin: Justine Vivian Ney

Förderung: DFG

Bereits die ersten internationalen Umweltkonferenzen der Vereinten Nationen (UN) nahmen Künstler:innen zum Anlass für Werke, die mit Blick auf diese politischen Gipfel konzipiert wurden. Während die ersten Treffen zu Umwelt und Entwicklung zwischen 1972 und 1992 in Abständen von fünf bis zehn Jahren stattfanden, etablierten die UN ab 1995 die sog. Conferences of the Parties (COP) als ein jährliches internationales Verhandlungsforum nationaler Delegationen zu Maßnahmen angesichts des Klimawandels. Teilnehmende dieser Großevents sind traditionell außerdem Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zahlreiche Kunst- und Ausstellungsprojekte, ebenso wie künstlerischer Aktivismus sind in diesen Kontexten zu etablierten Begleiterscheinungen und konstitutiv für die Gipfel als Mega-Medienevents geworden. Kunst in den verschiedensten Ausformungen bespielt anlässlich der Konferenzen traditionell Stadträume und Institutionen. Dieses Phänomen und seine Geschichte sind allerdings bislang unerforscht geblieben.

Das Projekt untersucht erstmals die „Klimagipfelkunst“ als einen Korpus, um daran exemplarisch Spezifika und Entwicklungen in den Verhältnisweisen von Kunst zu Politik, Gesellschaft und Wirtschaft seit den 1970er Jahren zu eruieren. Es macht sich vor diesem Hintergrund zur Aufgabe, Positionierungen und Institutionalisierungen der Kunst im Rahmen politischer Gipfel zu erforschen. Als Arbeitsinstrument dient eine Datenbank, die alle recherchierten Projekte verzeichnet und zusätzliche Informationen zu den jeweiligen Kunstformen, Beteiligten, Förderinstitutionen und Ausstellungsorten transparent macht. Diese umfangreiche Aufstellung soll zum Abschluss des Projekts als Chronik veröffentlicht werden.

In der geplanten Monographie werden ideologiekritische Perspektiven auf die Klimagipfelkunst, die Kunstgeschichtsschreibung sowie die Ausstellungsgeschichte erarbeitet – in Distanz insbesondere zur fortwährenden Dominanz poststrukturalistischer Theorietraditionen sowie post-moderner, antimodernistischer (romantisierend anti-kapitalistischer) und moralisierender Diskurse in der aktuellen Forschung. Abstand genommen wird weiterhin vom Advokatentum der Kunstgeschichte, die gerade, wenn sie von aktuellen politischen Themen handelt, die Rolle von Kunst und Künstler:innen pauschal etwa als progressiv oder emanzipatorisch setzt und so die kritische Analyse und Kontextualisierung der gewählten Positionen vernachlässigt. Im ersten Teil (1) erfolgt eine historische Perspektive auf die Voraussetzungen und Entwicklungen der Gipfelkunst, u.a. mit einem Schwerpunkt auf Museumsausstellungen. Anschließend (2) werden künstlerische Positionierungen zu Bevölkerungspolitik und Grenzen des Wachstums in ihrem Eingebundensein in hegemoniale Diskurse seit den 1960er Jahren bis hin zur Fokussierung von (individuellem) Konsum und Lebensstilen ab den 2000er Jahren verfolgt. Beide Diskurse verbindet, dass sie Fragen der Produktion und Dynamiken des Kapitalismus außer Acht lassen und stattdessen die Ursachen ökologischer Probleme zumeist personifizieren oder entlang eines dichotomen, wenig komplexen Weltbildes (z.B. „Norden vs. Süden“) zu lokalisieren suchen. Nachgegangen wird vor diesem Hintergrund weiterhin (3) der Depolitisierung von Politik, u.a. ausgehend von (aber auch kritisch gegenüber) Ingolfur Blühdorns Untersuchungen zur simulativen, „post-ecologist“ Politik sowie Stefan C. Aykut et al.‘s Diagnose einer „Politik der Beschwörung“ („incantatory politics“) im Klimakontext. Erforscht werden hier insbesondere die Performativität und Theatralität der politischen Gipfel in ihrer Verschaltung mit Kunst – und zwar sowohl anhand des offiziellen, als auch anhand des inoffiziellen Kunstprogramms. Eine kritische Betrachtung der Praktiken und Widersprüche von künstlerischem Aktivismus erfolgt beispielsweise in Auseinandersetzung mit Theodor W. Adornos Begriff der „Pseudo-Aktivitäten“. Einen weiteren Fokus (4) bilden künstlerische und kulturelle Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, im Rahmen der Verhandlungen politisch Einfluss zu nehmen. Relevanzformeln zur Bedeutung von Kunst mit Blick auf Ökologie und Klima sowie die Rollen von Künstler:innen (z.B. als „Observers“, „Ambassadors“ und „Envoys“) auf den Klimakonferenzen werden mit Blick auf aktuelle Formen der Kulturalisierung von Politik analysiert. Dabei fällt u.a. auf, dass Künstler:innen bspw. aufgrund ihrer Herkunft und „Identität“ zu Vorbildern stilisiert werden und dabei tradierte Essenzialisierungen (z.B. die vermeintliche Nähe von ‚Frauen‘ zu Natur) und Orientalismen wiederkehren. Mit Blick auf spezifische künstlerische Formen bzw. die Entgrenzung von Kunst hin zu den Logiken anderer Felder werden (5) künstlerische Workshops und Assemblies, ebenso wie Kampagnen untersucht. Neben der Unterordnung des Kunstbegriffs unter politische Ziele bzw. vielmehr Slogans werden hier v.a. die im Kunstfeld aktuell verhandelten Ideale der Kooperation und Kollektivität kritisch beleuchtet.

Der Blick auf 50 Jahre Umwelt- und Klimaverhandlungen anhand ihrer Kunst- und Kulturprogramme vermag es so, die Diskurs- und Ideologiegeschichte in diesem Feld, wie auch die Krisensymptome von Politik im Kapitalismus zu eruieren.

2022 fand der Projektworkshop „Summit Art: Art and Political Events since the 1970s“ statt. Eine Publikation ist aktuell in Planung.

 

Veranstaltungen/ Projekte

Abgeschlossen: »Collaborative Event Ethnography: Power and (In)Justice in Global Climate Governance« auf der COP27, Sharm El-Sheikh

Abgeschlossen: Workshop: »Summit Art: Art and Political Events since the 1970s«, 15.–16. Oktober 2022, Humboldt-Universität zu Berlin

 

Vorträge/ Diskussionen

* »Natur – Umwelt – Kunst: Ent-/Grenzungen«, Panel-Diskussion, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, 17.7.2024.

»Summit Art: Simulative Politics at the UN climate conferences«, Abendvortrag, Dipartimento di Culture del progetto, Università Iuav di Venezia, 29.11.2023.

»Zeremonien, Pavillons, Policies:  Kunst und Kultur auf der COP27 in Sharm El-Sheikh 2022«, Vortrag im Rahmen des studentischen Projektseminars »(Re-)Aktion – Das Wechselspiel von Kunst, Ausstellungspraxis und Umwelt«, geleitet von Lena Fischer & Marietta Geiger, 18.1.2023.

»Zwischen kritischer Reflexion und Extraktion: Die Arte Amazonas-Ausstellung in Rio 1992«, Vortrag, (Neo-)Extraktivismen in der Kunst der Gegenwart, Workshop, Universität Duisburg-Essen, Essen, 24.–25.11.2022

»Fomenting Fear: The Population Bomb in 1990s Summit Art«, Vortrag, Summit Art: Art and Political Events since the 1970s, Workshop, Humboldt-Universität zu Berlin, 15.–16.10.2022.

»Konstruktiv und kooperativ: Kunst und die »Politik der Beschwörung« auf den UN-Klimagipfeln«, Vortrag, Plurale Verschränkungen. Zur Entdifferenzierung von Kunst, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, Jahrestagung der AG Soziologie der Künste, organisiert von Prof. Dr. Nina Tessa Zahner & Marie Rosenkranz, M.A., Humboldt-Universität zu Berlin, 13.–14.10.2022.

»Ausstellungen – Analyse, Kritik, Politikum«, Vortrag im Rahmen des studentischen Projektseminars »(Re-)Aktion – Das Wechselspiel von Kunst, Ausstellungspraxis und Umwelt«, geleitet von Lena Fischer & Marietta Geiger, 9.6.2022.

»Climate Summit Art: Art, Political Agendas and Sponsorship«, Abendvortrag, University of Kent, 24.11.2021 (digital).

»De-/Politisierung durch Kunst? – Praktiken, Ideologien & Sponsoring auf Klimagipfeln«, Gastvortrag an der Universität der Künste, im Rahmen der Lehrveranstaltung »Klasse Klima«, 22.11.2021.

Diskussionsrunde »Fotografie zwischen ökologischem Wissen und Naturästhetik«, mit Maria Männig, Dominique Schrey, Birgit Schneider & Vera Tollmann, Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaften, Thema: Wissensökologie, 23.9.2021.

»Masters of the Arctic. Art Historical and Political Dimensions of a Touring Inuit Art Exhibition (1989–1994)«, Arctic Science Summit Week, Panel: Arctic Voices in Art and Literature, Portugal, 19.-26.3.2021 (digital).

»Art and Political Event. The Arctic at Global Climate Summits«, Mediating the Arctic. Contexts, Agents, Distribution, Humboldt-Universität & Arctic University of Norway in Tromsø, 28.-29.1.2021 (digital).

 

Wissenschaftliche Publikationen

* »Zeremonien, Pavillons, Policies: Kunst und Kultur auf der COP27 in Sharm El-Sheikh 2022«, in: Nina Tessa Zahner/Marie Rosenkranz (Hg.), Plurale Verschränkungen. Zur Entdifferenzierung von Kunst, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, tba.

* »Artist Leaders: Gegenwartskünstler:innen auf politischem und ökonomischem Parkett«, in: Elisabeth Fritz (Hg.), Der Beitrag der Kunst/Geschichte zu Herausbildung, Diskussion und Aushandlung gesellschaftlicher Fragen. Festschrift für Verena Krieger, tba.

»Kunst und Klimapolitik«, in: Turns, Hypes, Trends und methodische Paradigmenwechsel in der deutschen Kunstwissenschaft seit den 1960er Jahren (=Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege 77 (8)), 2024, S. 584-589.

»Consequences of Sponsorship: European Museums and Corporations – The Case of Volkswagen«, in: Pamela Bianchi/Iro Katsaridou/Eve Kalyva (Hg.), Museums and Entrepreneurship: Capitalising on Culture in the 21st Century, Oxon/New York 2024, S. xx-xx.

»Concealing, naming, or tackling inequalities? Art, culture and (In)justice at COP27«, in: Climate and Development, Januar 2024.

»Climate Summit Art. Arts and the carbon industries from Gustav Metzger to Ólafur Elíasson«, ESPACE Art Actuel °128: »Climatologie«, Frühling/Sommer 2021, S. 38–45.

»Schmelzendes Eis. Kunst im Kontext aktueller Ausstellungs-, Kultur- und Förderpolitik«, in: Themenheft Kunst Natur Politik – Jetzt! (=Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege, 73 (7), 2020, S. 358–367.

 

Dissemination/Vermittlung

»Naziha Mestaoui. Kollektivität, Großevents, Nachhaltigkeitsziele – Neoliberale Formen der Interaktion«, in: Kunstforum International 281 (= Zusammen Leben. Kunst des Miteinanders als globale Überlebensstrategie), 2022, S. 136–143.

»Im Kollektiv Geschichte neu schreiben. Ein Gespräch von Linn Burchert mit Anne-Marie Culhane und Lucy Neal von Walking Forest«, in: Kunstforum International 281 (= Zusammen Leben. Kunst des Miteinanders als globale Überlebensstrategie), 2022, S. 144–151.

»Klimagipfelkunst. Kunst und politisches Event, 1972-2022«, Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung, 1/2022.

»Sztuka dla klimatu czy sztuka dla sztuki?« [»Hoffen auf die Kunst – lohnend oder lähmend? Kunst und Klimapolitik«], Dwutigodnik, www.dwutygodnik.com, 12/2021.

Beitrag zu »Kann Kunst Klima – zwischen Aktivismus und Kommerz«, Gespräch mit Anna-Lena Schubert, Tre!bhaus, Audiocast, treibhauspodcast.ch/kannkunstklima, 29.11.2021.