Fundstück #36

#36 Holbein-Streit

Diapostiv mit der Dresdner Kopie von Holbeins Madonna des Bürgermeister Meyer

Dia von ca. 1890/1900 mit der Kopie der Madonna des Bürgermeisters Meyer von Hans Holbein d.J. (Dresden, Gemäldegalerie), Schenkung Huskamp, Digitalisat Mediathek des IKB

Dieses Fundstück eines Glasdias stammt nicht aus der Lehrbildsammlung, sondern aus einer kleinen Schenkung aus Privatbesitz, die die Mediathek im Jahr 2019 erhalten hat. Es reproduziert ein Gemälde, das den Basler Bürgermeister Jakob Meyer mit seiner Familie betend vor der in einer Nische stehenden stehenden Madonna zeigt. Das Gemälde befand sich seit dem 18. Jahrhundert als ein Hauptwerk Hans Holbeins d.J. (1497/8 – 1543) im Besitz der Dresdner Gemäldegalerie und wurde dort als herausragendes Exponat der deutschen Schule dem italienischen Hauptwerk der Sammlung, Raffaels Sixtinischer Madonna, gegenübergestellt.

Diese Rolle wurde schlagartig in Frage gestellt, als 1822 ein fast identisches, offensichtlich ebenfalls altes Gemälde auftauchte, das Prinz Wilhelm von Preussen über den Kunsthandel aus lothringischem Besitz für seine hessische Gemahlin Marianne erworben hatte und das – nachdem es zunächst im Berliner Schloss hing – später über die Tochter des Paares nach Darmstadt vererbt wurde. Welches der beiden war nun das Original? Das Dresdner Bild war mit einer Provenienz aus der Sammlung der Maria de Medici, die das Werk bereits in den 1630er Jahren als Holbein erworben hatte, und dem Umstand, dass es sich seit Jahrzehnten in einer der brühmtesten Gemäldesammlungen Europas befand, zunächst klar im Vorteil.
Über die folgenden Jahrzehnte hinweg nahm der bald so genannte Holbeinstreit eine zentrale Rolle in der deutschen Kunstwissenschaft ein. Udo Kultermann hat den Vorgang mit einem eigenen Kapitel in seiner 1966 erschienenen Geschichte der Kunstgeschichte gewürdigt und in jüngerer Zeit war er erneut Gegenstand von Ausstellungen, Aufsätzen und Monografien (Andreas Beyer 2000; Ausst. Städel Frankfurt 2004, Lena Bader 2013, Bernhard Maaz 2014).

Zur Entscheidung der Auseinandersetzung wurden schließlich 1871 eine Ausstellung und ein eigener Kongress in Dresden organisiert, an dem neben dem Galeriedirektor Karl Woermann weitere bedeutende Kunsthistoriker und Museumsfachleute wie Wilhelm von Bode und Moritz Thausnig teilnahmen. Das Urteil, das sich gegen die vermeintlich das Gegenteil favorisierende historische Überlieferung stellte und die Darmstädter Madonna als das 1526 entstandene holbeinsche Original identifizierte, stützte sich in erster Linie auf formale Aspekte und war damit ein Triumph der Stilkritik. Später konnte dieses Ergebnis auch durch Schriftquellen und kunsttechnische Untersuchungen bestätigt werden. Das Dresdner Werk gilt seitdam als Kopie des aus Trier stammenden und in Holland und in der Schweiz tätigen Malers Bartholomäus Sarburgh (um 1590 – 1637), die im Auftrag eines Kunsthändlers in den 1630er Jahren angefertigt und dann in täuschender Absicht verkauft wurde.

Unser Dia wurde von dem von Adolphe Braun (1812-1877) gegründeten Fotounternehmen in Dornach bei Mühlhausen im Elsaß hergestellt und von der Firma Liesegang in Düsseldorf vertrieben. Braun hatte einerseits mit monumentalen Stilleben- und Landschaftsaufnahmen, andererseits aber als Pionier der kunsthistorischen Dokumentationsfotografie und durch verschiedene technologische Verfahren wie dem Pigmentdruck Fotografiegeschichte geschrieben. Er war einer der ersten, der systematisch Museumsbestände – neben Gemäldegalerien insbesondere graphische Sammlungen, da Zeichnungen besonders gut mit den damaligen technischen Mitteln wiedergegeben werden konnten – durchfotografierte.

Ob es sich bei der Aufnahme unseres Dias um eine Originalaufnahme Brauns handelt, die möglicherweise vor der Neuzuschreibung erstellt und auf den Markt gebracht wurde, ist nicht sicher. Unser Exemplar des Dias ist jedoch eindeutig jünger, da das Etikett bereits den ab 1889 verwendeten Namen der von Brauns Sohn Gaston mit Gesellschaftern fortgeführten Firma, Braun, Clément et Cie, zeigt. Dies vorausgesetzt ist nun auffallend, dass das Unterehmen von den zwischenzeitlichen kunsthistorischen Erkenntnissen offenbar völlig unbeeindruckt blieb und das Bild auf den in französischer Sprache abgefassten Etiketten weiterhin als Originalwerk Holbeins ausgab.

Aufnahme einer Exkursionsgruppe am Magdeburger Dom 1960

Abb. 2. Koloriertes Dia, vermutl. der 1920er Jahre, aus der Lehrsammlung des IKB mit der sog. Madonna des Bürgermeisters Meyer von Hans Holbein d. J. (vormals Darmstadt, Schlossmuseum; heute Slg. Würth, Schwäbisch Hall). Fotograf: unbekannt, Digitalisat: Mediathek des IKB

Nun wäre noch zu fragen, welche Spuren des Holbeinstreits hingegen in der Lehrsammlung des Instituts zu finden sind. Die überraschende Erkenntnis ist: Eigentlich keine. Bislang wurde nur ein einziges, zudem koloriertes Dia zum Darmstädter Original gefunden (Abb. 2). Da das Dia keine Inventarnummer trägt und zu einer Reihe kolorierter Dias gehört, solche aber wegen ihrer oft als verfälschend kritisierten Farben eher nicht eingesetzt wurden, kann dieses kaum gezählt werden. Für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema wären außerdem weitere Dias mit Detailaufnahmen zu erwarten, die ebenfalls fehlen. Daher ist anzunehmen, dass Diabestände zu diesem bedeutenden Werk(paar) entweder verloren gingen, oder dass die Auseinandersetzung um Holbeins Gemälde in der akademischen Lehre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – der Zeit des Einsatzes der Glasdias aus der Lehrsammlung – nicht mehr von Interesse war. (G.S.)

Nachbemerkung zum Kleinkonvolut aus dem das Dia stammt: Der ursprüngliche Herkunfts- und Nutzungszusammenhang der 18 Dias ist unbekannt. Durch eine Nummernreihe (die zwar vollzählig ist und keine Doppelungen aufweist, aber wohl von unterschiedlichen Händen notiert ist), scheinen die Bilder eine Serie zu bilden, die auch einer ungefähren Chronologie folgt. Allerdings ergibt die Zusammenstellung aus Kathedralfassaden u. – portalen bzw. deren Figurenschmuck und einigen altniederländischen und altdeutschen Gemälden (am Ende steht das vermeitliche Holbein-Bild) auf den ersten Blick keinen thematischen Zusammenhang. Zwei Dias zeigen darüber hinaus Werke der klassischen Antike und fallen auch durch die römische Nummerierung ohnehin aus der Reihe. Diese beiden und ein weiteres Dia besitzen das eher im Populärbereich, weniger an den Universitäten verbreitete Quadratformat von 8,5 x 8,5 cm.

Die Dias sind vergleichsweise alt. So tragen die enthaltenen Stoedtner-Dias die älteste Version des Firmenetiketts, das auf den ersten, wohl von 1895 bis 1904 gültigen Sitz der Firma in der Bremer Str. in Moabit verweist, bevor die Firma in die Universitätsstraße umzog. Eines der Stoedtner-Dias trägt den Aufkleber „Originalaufnahme 1904“, kann also wiederum frühestens in jenem Jahr entstanden sein. Die Dias können jedoch aus unterschiedlicher Zeit stammen und daher teils älter sein. Da die Marken Braun und Liesegang bisher nicht in der Sammlung vertreten waren, bildet das Konvolut trotz der geringen Zahl eine wichtige Ergänzung des Glasdiabestands. Auffallend ist im Vergleich zur Lehrsammlung, dass die Dias trotz ihres hohen Alters kaum Benutzungsspuren aufweisen.

(Datensätze des Konvoluts: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?ref=67661&search=!collection603903+&order_by=field51)

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.