Fundstück #35

#35 Die vergessene Villa

Diapositiv mit der Villa Lante in Rom

Dia mit der Villa Lante in Rom, Aufnahme nach 1895, Fotograf:in unbekannt (Digitalisat: Mediathek des IKB).

Diesmal geht es um ein Dia, dessen Beschriftung Zeugnis davon ist, dass innerhalb der Diathek das Wissen über Werke auch wieder verloren gehen konnte. Oft finden sich auf den Glasdias der Lehrsammlung Korrekturen in der Beschriftung, entweder weil sich äußere Sachverhalte, z.B. Standorte oder Besitzverhältnisse geändert haben (vgl. Fundstück #24), oder weil die Dinge anders gedeutet werden. So wird das Dia als materielles Objekt zugleich zum Träger schriftlicher Informationen über die Geschichte der Deutung seiner Bildinhalte und seiner Objektgeschichte.

Unser Dia mit der Inventarnummer 24216 stammt von ca. 1915 und wurde vermutlich auf der Basis einer Buchillustration nach einem älteren Foto hergestellt. Es zeigt die Villa Lante auf dem Gianicolo-Hügel in Rom in einem leicht veränderten und wenig gepflegten Zustand. So war damals etwa die markante Loggia teils vermauert und ein Glas-Wintergarten angefügt. Der auf den ersten Blick etwas beliebig wirkende Aufnahmeausschnitt ist so gewählt, dass das Reiterstandbild für Giuseppe Garibaldi gegen den Himmel als Silhouette sichtbar ist. Das riesenhafte Denkmal wurde 1895 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Einnahme Roms auf dem höchsten Punkt des Gianicolo errichtet und liefert somit den Terminus post quem für die Aufnahme (Dank an Martin Raspe, Rom, für diesen Hinweis).

Die Kennzeichnung mit einem „F“ in roter Farbe deutet darauf hin, dass das Dia für Oskar Fischel (1870-1939) angefertigt wurde, der von 1915 bis 1933, als ihm die Universität als Jude das Dienstverhältnis kündigte, am kunsthistorischen Seminar lehrte. Fischel hatte bereits 1896 mit seiner Dissertation den noch heute vielfach als Referenz verwendeten Katalog der Raffaelzeichnungen erstellt und blieb dem Künstler bis zu seiner im englischen Exil 1941 posthum publizierten Raffaelbiografie treu.
Eine derartige Zuordnung des Dias ließe sich mit den ersten beiden Lehrveranstaltungen verbinden, die Fischel im Sommersemester 1915 und im Wintersemester 1915/16 über den Künstler Raffael hielt. Wenn die Beschriftung ebenfalls von Fischel stammt, dann kannte er seinen Gegenstand natürlich bestens. Entsprechend – wie oft in solchen Fällen – sind auch keine weiteren Informationen, hier etwa Datierung, Architekt oder dergleichen, angefügt. Wir wissen nicht im Einzelnen worüber Fischel in seiner Vorlesung genau sprach. Die Villa Lante könnte ihn als aus dem Raffaelkreis stammendes Gesamtkunstwerk von Architektur und Ausstattung interessiert haben. Genaueres werden wir vielleicht wissen, wenn wir weitere, mit seiner Vorlesung in Verbindung zu bringende Dias – etwa Innenausstattung oder anderer Bestandteile der Villa – identifiziert haben.

Die Villa Lante, die von Raffaels Meisterschüler Giulio Romano für den aus der Toskana stammenden Baldassarre Turini, Bischof und Verwaltungsbeamter unter den Medicipäpsten Leo X. und Clemens VII., geplant und von weiteren Künstlern der Raffael-Werkstatt im Inneren dekoriert wurde, erhielt ihren späteren Namen nach Übernahme durch die mit den Medici verschwägerte Familie Lante im Jahr 1551. Sie ist heute im Besitz des finnischen Kulturinstituts und gehörte zur Zeit der Herstellung des Dias dem deutschen Archäologen Wolfgang Helbig (1839-1915). Damals war ein Teil der Ausstattung bereits nicht mehr in situ. Der Giulio Romano, Polidoro da Caravaggio und anderen Schülern Raffaels zugeschriebene Zyklus von Götterdarstellungen und Szenen aus der Gründungsgeschichte Roms war schon in der Mitte des 19.Jh. entfernt worden, nachdem die Villa in den Besitz der Ordensgemeinschaft des Sacro Cuore di Gesù übergegangen war, die die insbesondere eine drastische Szene der Entmannung des Kronos durch Zeus für ihre Novizinnen als inakzeptabel ansah. Henriette Hertz erwarb die Bilder 1911 und ließ sie im Salon ihres Wohnsitzes, dem Palazzo Zuccari, dem heutigen Sitz der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, einbauen. Seitdem befinden sie sich auf Pincio-Hügel genau auf der anderen Seite der Stadt.

Mit dem Nachlassen des Interesses an Raffael und seinem Schülerkreis im 20. Jahrhundert verschwanden derartige, vorwiegend spätere Werke des Raffaelkreises aus dem kunsthistorischen Kanon und wurden zu Spezialgebieten. Wann immer auch die vermeintliche „Verbesserung“ der Beschriftung angebracht wurde – vielleicht erst nach 1945 –, war einer Person, die sich für die Dias zuständig fühlte, die Villa in Rom nicht mehr präsent. Sie meinte, die Aufschrift korrigieren zu müssen, strich die Ortsbezeichnung “Rom” durch und ersetzte sie durch “Viterbo” indem sie den Bau mit einer anderen Villa Lante verwechselte, nämlich der großen Gartenanlage in Bagnaia bei Viterbo, die Vignola für Kardinal Gambara anlegen ließ und die seit dem 17. Jh. ebenfalls den Namen der Familie Lante trägt. (G.S.)

(Datensatz zum Dia: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/view.php?ref=49300)

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Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.