Fundstück #50

#50 Zwillingsstudien

Abb. 1. Luftbild der Wartburg, Fotograf unbekannt, im Auftrag der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm, 1934/1940: a) Dia nach „Original“-Negativ, in die Sammlung aufgenommen nach 1946; b) Dia nach „Doppelnegativ“, in die Sammlung aufgenommen nach 1946. (Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Bei Funden in Sammlungen handelt es sich nicht immer um Einzelstücke. Fast noch häufiger erregen Gruppen von Objekten mit gemeinsamen, hervorstechenden Merkmalen unser Interesse (so begann bereits die Serie, s. Fundstück #1). Gerade bei der Durchsicht größerer Mengen, die mit fortschreitender Digitalisierung und Katalogisierung immer einfacher wird, fallen Wiederholungen, Gruppierungen, oder bestimmte Muster auf. So auch hier.
Wie in jeder vergleichbaren Lichtbildsammlung finden sind mehrere Wiedergaben desselben Kunst- oder Bauwerks vorhanden. So gibt es zum Beispiel ältere und neuere Aufnahmen, oder einen besonderen Bildausschnitt eines Gemäldes. Bei Skulpturen sind neben Detailansichten auch Aufnahmen verschiedener Ansichten zu finden. Schon Wölfflin forderte, dass sich der Fotograf auf Hauptansichten konzentrieren sollte. Auch wenn die präzise Lage der „Hauptansicht“ (oder überhaupt ihr Vorhandensein) diskutierbar bleiben und schon kleine Verschiebungen im Betrachtungsstandort die Wirkung stark verändern können, ist die Häufung bevorzugter Perspektiven zu beobachten. Selbst bei Bauwerken, die mehrere Ansichtsseiten mit jeweils eigenem Wert haben (etwa bei einer Kathedrale mit Westfassade, Querschiffsfassaden und Chorkapellen), konzentrieren sich die Aufnahmen auf Standardansichten. Insbesondere bei bekannten Bauten gibt es die typische, kanonische Perspektive, die immer wieder gewählt wird. Dieses Phänomen ist heutzutage auch bei den Massen von touristischen Handyfotos im Internet zu beobachten.
Bei Lehrbildsammlungen sind es über diese ästhetischen Konventionen hinaus die Herstellungs- und Beschaffungsroutinen, die dazu führen, dass nicht nur dasselbe Objekt, sondern ein und dieselbe Aufnahme wieder und wieder auftaucht. Im Folgenden interessiert uns genau diese Form von Doubletten.

Manchmal wurden direkt zwei oder mehrere Dias einer Aufnahme erworben. Aber ebenso kann eine Aufnahme, die um 1900 gemacht wurde, um 1960 erneut zu einem Dia verarbeitet worden sein. Dazwischen liegen oft viele Kopierschritte, unter anderem über abfotografierte Bücher, die nicht immer bekannt sind.
Im einfachsten Doubletten-Fall wurde das gleiche Dia mehrfach bei einem Verlag bestellt. Grundsätzlich waren kunsthistorische Institute aber aufgrund der Kosten und des großen Bedarfs an verschiedenen Motiven hierbei zurückhaltend. In der Berliner Lehrbildsammlung gibt kaum Hinweise darauf, dass die gleiche Aufnahme von vornherein mehrfach beschafft wurde, etwa, weil das Bild in einer Vorlesung wiederholt gezeigt werden sollte.
Gelegentlich wurde jedoch – aus welchem Grund auch immer – ein Bestand übernommen, der bereits Doubletten enthielt. Das war offenbar der Fall bei Dias der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm, die wohl nach 1945 direkt aus Restbeständen der Einrichtung übernommen wurden (vgl. Fundstück #44). Manche Motive sind hier sogar drei- und vierfach vorhanden.
Hierbei sind bemerkenswerterweise die Dias derselben Aufnahme teils mit „vom Original“ und teils mit „vom Doppelnegativ“ bezeichnet. Offenbar wurden letztere Dias von einem weiteren Zwischennegativ angefertigt, was für Belichtungskorrekturen genutzt wurde, wie der unterschiedliche Kontrastverlauf der in der Sammlung vorhandenen Exemplare vermuten lässt (Abb. 1).

Abb. 2. Figuren im sog. Paradies des Münsteraner Doms, Aufnahme verm. v. F. Stoedtner, um 1900: a) Dia von ca. 1910, inventarisiert ca. 1912; b) Dia nach 1929, in die Sammlung aufgenommen verm. nach 1931.
(Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Weitere Doppelungen entstanden durch die Anschaffung oder Schenkung von Konvoluten, in denen Doubletten zu bereits vorhandenen Exemplaren enthalten waren. Das traf gerade auch bei Übernahmen aus anderen Lehrsammlungen zu; beispielsweise als Albert Erich Brinckmann 1931– vom Institut der Universität Köln kommend – oder Gerhard Strauß 1958 – von der Deutschen Bauakademie kommend – jeweils Bestände aus ihren vormaligen Einrichtungen mitbrachten (vgl. Fundstück #26). Brinckmann hatte explizit geäußert, dass er die vorgefundenen, zuletzt von seinem Vorgänger Adolph Goldschmidt aufgebauten Bildbestände qualitativ unzureichend fand. Daher ließ er in großem Stil Reproaufnahmen für Dias herstellen (vgl. Fundstück #32) und erwarb darüber hinaus wohl auch hunderte, wenn nicht tausende weiterer Dias von der Firma Stoedtner. Sie sind daran erkennbar, dass sie das Stoedtner-Etikett aus der Zeit um 1930 und einen Institutsstempel tragen. Wohl weil dieser Zuwachs so groß war, verzichtete man auf die Vergabe einer Inventarnummer (Abb. 2). Daher ist davon auszugehen, dass auch nicht geprüft wurde, ob bereits ein brauchbares Dia des Motivs – vielleicht sogar bereits aus Stoedtner-Produktion – vorhanden war, sondern Doppelungen in Kauf genommen wurden.

Abb. 3. Rembrandt, Kreuzaufrichtung aus dem Passionszyklus in der Münchner Alten Pinakothek, Aufnahme verm. v. F. Stoedtner, um 1900: a) Dia von ca. 1900 – vermutlich auf Wunsch – ohne Brauntönung, inventarisiert ca. 1900; dabei teils neu etikettiert und beschriftet; b) Dia von ca. 1900 mit Brauntönung, in die Sammlung aufgenommen zu unbekanntem Zeitpunkt (verm. Jahrzehnte später, da ohne Gebrauchsspuren).
(Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Vielleicht ebenfalls erst in dieser Zeit gelangte ein kleineres und älteres Stoedtner-Konvolut in die Sammlung, das für weitere Doubletten sorgte: Von Rembrandts Kreuzaufrichtung aus der Münchner Passion gibt es bspw. zwei von Stoedtner hergestellte Exemplare, die beide aus der gleichen Produktionsphase um 1900 stammen, wie man Typ des Etiketts ablesen kann (Abb. 3). Das ursprüngliche beschaffte Exemplar, das gemäß Inventarnummer um 1900 in den Bestand eingegliedert wurde, ist vom jahrzehntelangen Gebrauch völlig abgenutzt. Es zeigt vom Einstecken in den Projektorrahmen abgeriebene Etiketten und abgerissene Papierverklebungen. Das zweite Exemplar ist etwa gleich alt, vielleicht sogar älter, hat aber keine Gebrauchsspuren. Es besitzt eine starke Brauntönung, die vor und um 1900 – auch bei Porträtfotografien in der „piktorialen“ Fotografie – beliebt war. Es gibt zahlreiche weitere solcher – zwar sehr alter, aber keine Gebrauchsspuren aufweisender – Doubletten aus dem Stoedtner-Verlag, so dass vermutet werden kann, dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt – vielleicht als Schenkung – als Konvolut in die Sammlung kamen.

Abb. 4. Katholische Hofkirche in Dresden, Aufn. verm. v. F. Stoedtner: a) Dia nach 1929, in die Sammlung aufgenommen verm. nach 1931; b) Dia von 1953; Repro nach noch nicht identifizierter Buchvorlage. (Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als Richard Hamann das Institut leitete, wurden die Bestände in großem Stil durch im Institut angefertigte Reproaufnahmen ergänzt (vgl. Fundstück #41). Es entsteht der Eindruck, dass noch einmal besonderer Nachdruck auf die Vervollständigung des Fachkanons gelegt wurde. Als Grundlagen für die Auswahl dienten unter anderem Hamanns eigene „Geschichte der Kunst“ oder Adolfo Venturis “Storia dell’arte italiana”. Um den Bildbestand mit Hauptwerken zu vervollständigen, nahm man nicht nur schlecht gedruckte Vorlagen in Kauf, sondern arbeitete auch so schematisch nach den bereits in der Vorkriegszeit entstandenen Standardwerken, dass hier ebenfalls kein zuverlässiger Abgleich mit bereits vorhandenen Aufnahmen stattfand, die gelegentlich von deutlich besserer Qualität waren (Abb. 4).

Abb. 5. Gerichts- oder Engelspfeiler im Straßburger Münster, Aufn. unbekannt: a) Dia angefertigt und inventarisiert ca. 1928, Repro nach unbekannter Vorlage (Beschriftungen Adolph Goldschmidt); b) Dia angefertigt nach 1931; Repro nach unbekannter Vorlage. (Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Da der Kontrastumfang bei jedem Kopiervorgang je nach Fotomaterial, Belichtung, Entwicklung etc. unterschiedlich ausfällt und außerdem Retuschen und andere Manipulationen möglich sind, können die verschiedenen Derivate der gleichen Aufnahme sehr unterschiedlich aussehen. Anhand von Aufnahmewinkel, Schattenwurf, Personen oder Mobiliar im Bild kann jedoch festgestellt werden, ob es sich um Derivate der gleichen Originalaufnahme handelt, wie im Beispiel einer Aufnahme des Engelspfeilers im Straßburger Münster (Abb. 5). Hier, wie bei anderen Beispielen, war man vielleicht mit dem Helligkeitswert und dem Kontrast der Aufnahme nicht zufrieden, da die dunklen Partien, etwa am Pfeilerkern hinter den Figuren nicht mehr erkennbar waren, wenn das Dia an eine Leinwand projiziert wurde. Eine auf den ersten Blick blass und kontrastschwach wirkende Aufnahme war unter Umständen für die Projektion besser geeignet.

Was auch immer die Gründe für die Doppelung (und in manchen Fällen auch Verdrei- und Vervierfachung) der gleichen Aufnahme sein mögen: Die Beschäftigung damit lenkt den Blick auf den Umstand, dass sich die kunsthistorische Diathek aus Medienobjekten zusammensetzt, die Derivate einer Uraufnahme sind. Manchmal sind diese Derivate auf kurzem Weg, oft aber über viele Schritte entstanden. Dabei wird auch deutlich, dass das für die Lehre gebrauchte Bild nicht immer ein technisch perfektes und noch viel weniger ein originelles Bild sein musste. Aber – wie auch bei den anderen Beispielen der Fundstücke – ist es vielmehr die Verzahnung allgemein-bildhistorischer und konkret-objektbezogener Aspekte, gelegentlich gepaart mit Ereignissen aus der Instituts- und Fachgeschichte, die die Objekte für uns reizvoll macht.

(G.S.)

(Datensätze mit Dias, die mehrfach gleiche Aufnahmen zeigen: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21hasdata123&k=&modal=&display=thumbs&order_by=resourceid&offset=0&per_page=240&archive=&sort=DESC&restypes=&recentdaylimit=&foredit=&noreload=true&access= )

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.