Die Aufnahme befindet sich in der umfangreichen Diasammlung, die der Architekturkritiker Nikolaus Bernau der Mediathek übereignet hat. Sie entstand wohl zu Anfang des Jahres 2002 im Hansaviertel am Westende des Tiergartens, das als Manifest einer neuen, demokratischen Architektur für die IBA 1957 errichtet worden war. Der Entwurf des Baus in der Händelallee 3-9 stammt von Walter Gropius und TAC (The Architects Collaborative, Cambridge/Mass.) sowie Wils Ebert.
Die tief stehende Sonne im Rücken des Fotografen führte dazu, dass dessen Schatten auf dem Bild zu sehen ist. Im Winter ist ein niedriger Sonnenstand häufig anzutreffen, weswegen diese Jahreszeit zunächst ungünstig für Architekturfotografien zu sein scheint. Andererseits leuchtet das flacher einstrahlende Licht Überdachungen, Gesimse und andere vorstehende Bauteile besser aus, als das bei hohem Sonnenstand der Fall ist. Vor allem aber bietet der Winter den Vorteil des fehlenden Laubs der Vegetation.
Davon ausgehend, dass der Schatten des Fotografen kein gewolltes Bildelement ist, könnte man sich fragen, warum dieser die Kamera nicht einfach etwas höher gehalten hat und damit – nebenbei – auch noch die Dachaufbauten links oben vollständig erfasst hätte. Wir wissen es natürlich nicht, aber es ist zu vermuten, dass er die Verzerrung der vertikalen Linien vermeiden wollte, die immer dann entsteht, wenn die Kamera nicht parallel zum Objekt – hier dem Bauwerk – platziert wird. Die parallel gehaltene Kamera bildet – zumindest bei einem Kamerastandpunkt nahe dem Straßenniveau – auf nahezu der gesamten unteren Bildhälfte den Boden ab. Die obere Bildhälfte ist hingegen vom Bauwerk ausgefüllt, das, je nach dessen Höhe, der Brennweite des Objektivs und dem Abstand der Kamera dennoch oben angeschnitten sein kann. Dafür entstehen aber keine „stürzende Linien“. Selbstverständlich erfordert die maximale Ausnutzung der Bildfläche in diesem Fall die Verwendung des Hochformats. Nikolaus Bernau hat unter den gegebenen Bedingungen also genau die richtige Kameraposition gewählt.
Nach dem gleichen Prinzip arbeiten auch sog. Fachkameras oder Shift-Objektive, bei denen das Objektiv gegen die Filmebene verschoben werden kann. Nur kann hier die vom Objektiv erzeugte Projektion mit der Filmfläche so zur Deckung gebracht werden, dass weiterhin fast die ganze Fläche genutzt wird. Bei unserem Beispiel ist hingegen ein Drittel der Fläche verloren, denn die Straße würde bei einer Weiterverwendung des Bildes einfach abgeschnitten werden. Beim vorliegenden Bild handelt es sich um ein Dia, also ein Unikat, das zunächst nicht weiter bearbeitet – in diesem Fall noch nicht einmal gerahmt – wurde. Erst für eine Projektion würde wohl der untere Bildrand abgeklebt oder zum Zweck eines Abzugs oder einer Druckvorlage anderweitig entfernt werden.
Zu den eher schwer identifizierbaren Objekten einer Bildsammlung gehören liturgische und kunsthandwerkliche Gegenstände, insbesondere wenn sie nicht hochberühmt sind. In der Sammlung von Peter H. Feist befindet sich in der Abteilung “Goldschmiedekunst” auch eine Reihe von Kelchen, die alle vor einheitlichem blauem Hintergrund fotografiert sind, aber eher unbekannte Stücke darstellen. Sie stammen den Beschriftungen zufolge aus Kirchen in Bergen auf Rügen, Wittenburg in Mecklenburg und Diesdorf in Sachsen-Anhalt. Der einheitliche Hintergrund läßt zunächst an eine Ausstellung denken, auf der die Objekte präsentiert wurden. Allerdings wäre die etwas großzügige, Falten werfende Draperie des Stoffs eher ungewöhnlich für eine Ausstellungspräsentation.
Ein Fund in einer ganz anderen Schachtel der Bildsammlung, die vermischtes Material enthält, lieferte die Erklärung zu diesen Kelchen. Ein dort verwahrtes Dia, das wegen starker Überbelichtung etwas nachbearbeitet werden musste, erzählt eine ganze Geschichte: Bei einer im Jahr 1961 veranstalteten Exkursion mit einer – wie der Beschriftung zu entnehmen ist – damals im 2. Studienjahr befindlichen Gruppe, standen offenbar auch mittelalterliche liturgische Geräte bzw. die fotografische Dokumentation derselben auf dem Programm. Wie man aus Peter Feists Lebenserinnerungen, in denen die die Exkursion selbst allerdings nicht erwähnt wird, schließen kann, handelte es sich um einen von ihm sehr geschätzen Studienjahrgang von gerade einmal 14 Studierenden. Von ihnen wurden, wie er fortfährt, “zwölf tüchtige Mitarbeiter in Museen, Denkmalpflege und anderen Einrichtungen, darunter Professor Dr. Hans-Joachim Giersberg (1938–2014), zuletzt Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg” – vielleicht der junge Mann in der Bildmitte. Die weiteren Mitglieder des Jahrgangs wären vermutlich unschwer zu ermitteln. Da – wie Feist weiter schreibt – ein Mitglied des Jahrgangs als Westberliner infolge des Mauerbaus am 13. August 1961 das Studium nicht fortsetzen konnte und nur dreizehn Personen sichtbar sind, könnte vielleicht sogar auf einen Aufnahmezeitpunkt nach diesem Datum geschlossen werden. Allerdings werden auf der rechten Seite Personen von einem Pfeiler verdeckt und zudem dürfte es sich bei der Person ganz rechts eher um einen weiteren Dozenten – vielleicht Gerhard Hallmann, der, wie Feist an anderer Stelle erwähnt, auch die Exkursion im Vorjahr begleitet hatte – handeln, so dass ohnehin nicht alle Studierenden zu sehen sind.
Auf dem Bild sehen wir nun aber, wie es zu dem einheitlichen blauen Hintergund kam: An den verschiedenen Orten wurde offenbar jedes Mal derselbe Mantel über einen unter freiem Himmel aufgestellten Stuhl gelegt, worauf dann die wertvollen Kelche platziert und fotografiert wurden. Vermutlich gehörte der blaue Mantel der Studentin links von der Bildmitte, die im Unterschied zu allen anderen Personen auf dem Bild keinen Mantel trägt und den Vorgang des Fotografierens besonders aufmerksam betrachtet. Man kann sich schon fast vorstellen, wie der Mantel im Verlauf der Exkursion zu einem Running Gag wurde: “…so und jetzt bitte wieder den Mantel”.
Im Hinblick auf das oben gezeigte Dia stellt sich nun noch die Frage, wer dieses eigentlich fotografiert hat. Wenn sich um genau diejenige Aufnahme handelt, deren Herstellung auf dem gefundenen Bild eingefangen ist, dann kann sie nicht von Peter Feist stammen. Es ist aber eher zuvermuten, dass – im Sinn einer Übung – jeweils mehrere Aufnahmen angefertigt wurden und Feist den Kelch auch selbst fotografiert hat. Die hinter dem knienden Fotografen stehenden Studierenden, die gerade ihre Kameras in die Hand nehmen, scheinen bereits darauf zu warten, ebenfalls an die Reihe zu kommen.
Archivmäßige Schwarzweissaufnahmen für die Denkmalpflege wurden jedoch vemutlich nicht gemacht. Jedenfalls gab es 1965 noch Anlass, eine solche Aufnahme für die Deutsche Fotothek anzufertigen (Neg. FD 164825). Der blaue Mantel fehlt hier natürlich.
Offenbar besaß Peter H. Feist auch ein Teleobjektiv, das er für diese Nahsicht der Baustelle der Kongresshalle am Alexanderplatz verwendete. Wir würden heute von “Heranzoomen” sprechen, weil – zumindest außerhalb des Profibereichs – fast nur noch Objektive mit verstellbarer Brennweite in Gebrauch sind. Hier wurde aber sicherlich mit einem Objektiv mit Festbrennweite gearbeitet, das gewechselt werden musste. Der Bildausschnitt ist klein und dicht am Geschehen, allerdings befand sich der Kamerastandpunkt auch nicht sehr weit entfernt, denn Feists Wohnung lag benachbart im ersten Wohnblock der Karl-Marx-Allee (bis 1961 Stalinallee).
Der Bau der Kongresshalle wurde 1961 beschlossen mit dem mehrfachen Zweck eines Vortragssaals für das”Haus des Lehrers” und als Multifkunktionshalle – ein wichtiges Projekt des Aufbauprogramms für die Hauptstadt der DDR. Bis zum Bau des Palasts der Republik tagte hier auch die Volkskammer. Das Bild wurde im Frühjahr 1963 aufgenommen. Die Konstruktion der Kuppel besteht aus einem Betonrippengerüst, in das vorfabrizierte Betonsegmente eingesetzt wurden (gekennzeichnet mit hier sichtbaren Codes), die dann von außen mit bewehrtem Beton vergossen wurden. Mit Betonguss wurde schon bei der – von außen ähnlich flach wirkenden – Kuppel des römischen Pantheons gearbeitet. Dieser letztere Arbeitschritt wurde, wie diesem Bild zu entnehmen ist, direkt von Hand mit Schubkarren und Schaufeln bewerkstelligt. Auf dem Bild erkennbare Lampen erlaubten auch Nachtarbeit (leider gibt es davon kein Foto), während die zusammengerollten Matten wohl der Abdeckung des frischen Betons zum Schutz gegen Frost oder vorzeitige Austrocknung durch Sonneneinstrahlung dienten.
Mary Warburg. Porträt einer Künstlerin.
Leben und Werk
Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Bärbel Hedinger und unter Mitarbeit von Andrea Völker hat Michael Diers, Prof. em. des Instituts sowie Leiter der bis 2017 am Institut für Kunst- und Bildgeschichte angesiedelten Forschungsprojekte zur Herausgabe der Schriften Aby Warburgs (Gesammelte Schriften, Studienausgabe: „Kleine Schriften und Vorträge“ und „Briefe“) die erste umfassende wissenschaftliche Monografie über die die bislang wenig bekannte Künstlerin Mary Warburg, geb. Hertz (1866−1934), Ehefrau des Hamburger Kunst- und Kulturhistorikers, veröffentlicht. In zahlreichen Aufsätzen, einem kommentierten Werkverzeichnis sowie biografischen Dokumenten werden Leben und Werk der bedeutenden Zeichnerin, Grafikerin und Bildhauerin einprägsam vor Augen geführt.
Mit Beiträgen von Jutta Braden, Michael Diers, Steffen Haug, Bärbel Hedinger, John Prag, Andrea Völker, Martin Warnke
536 Seiten, 900 Abbildungen in Farbe, 23 x 29 cm, gebunden
Dieses Fundstück existiert gar nicht materiell. Es ist ein Bild, das durch einen Fehler bei der Digitalisierung entstand. Wir sind darauf gestoßen, weil in einem bestimmten Bereich der Sammlung Feist die Gesamtansichten der Dias nicht mehr mit den hochaufgelösten Digitalisaten der Bildausschnitte übereinstimmten.
Ohne zu weit in die Organisation des online-Katalogs einzutauchen, kann gesagt werden, dass die Entsprechung der beiden Bildvarianten hier normalerweise dadurch erzeugt wird, dass zweimal strikt die gleiche Reihenfolge der Bearbeitung eingehalten wird: Zuerst beim Abfotografieren, dann beim Scannen. Hier passierte nun offenbar folgendes: Der automatische Einzug des bei der Dienstleistungsfirma verwendeten Nikon Coolscan 5000-Scanners hat zwei der dünnen Dias auf einmal eingezogen. Die in den USA für Museen produzierten Dias mit Papp- oder Kunststoffrähmchen – hier für die National Gallery in Washington – waren oft besonders dünn. Die im Scanner übereinanderliegenden Dias wurden dann gemeinsam gescannt.
So fehlte nicht nur ein zweiter Scan, so dass anschließend alle folgenden Bilder mit einer zu niedrigen Nummer versehen wurden und nicht mehr ihren Pendants entsprachen, sondern es entstand auch ein Bild, in dem nun Tänzerinnen mit dem Porträt der Estelle Musson Balfour Degas, beides Gemälde von Edgar Degas, verschmelzen. Degas hat seine fast blinde Cousine mit einem verträumten, nicht fixierenden Blick dargestellt. In unserem digitalen Artefakt wurde diesem Porträt durch das zweite Bild nun noch eine Art innerer Vision hinzugefügt. So interessant das Resultat ist, werden wir den Fehler in Kürze durch zwei neue Scans korrigieren (sodass das doppelte Bild bald nicht mehr aufrufbar sein wird).
Peter H. Feist hat die beiden Dias zusammen mit anderen aus der National Gallery stammenden Dias wohl während seines Forschungsaufenthalts am CASVA (Center for Advanced Studies in the Visual Arts) in Washington im Jahr 1985 erworben und in seine Sammlung eingegliedert.
Immer wieder einmal strapazieren wir bei den Fundstücken die materiellen, materialästhetischen und konservatorischen Aspekte, weil sie bei der Arbeit mit Sammlungen eine große Rolle spielen.
Nach 1990 hat Peter H. Feist deutlich weniger fotografiert und schließlich ganz damit aufgehört. Er war weiterhin forschend, schreibend und vortragend sehr aktiv. Aber vermutlich veranlasste ihn der Umstand, dass Bildmaterial nun vergleichsweise leicht erhältlich war, nur noch gezielt für Vorträge zu fotografieren.
Auch die bereits vorhandene Sammlung, die sich natürlich nicht mit der Masse der nun verfügbaren professionellen Kunstaufnahmen messen konnte, wurde offenbar nur noch wenig geschätzt und im Keller eingelagert. Die Filme reagierten auf das ungünstige Klima unterschiedlich. Während bei manchen keine Schäden festzustellen sind, sind andere stark beeinträchtigt. Am auffälligsten sind punktförmige oder zusammenhängende Flächen, in denen nur noch oranger oder rosafarbiger Farbstoff zu sehen ist. Ursache sind vermutlich Bakterien oder Pilze, die sich in den organischen Stoffen der Filme ausgebreitet haben.
Bio-Art-Künstler wie Wolfgang Ganter, der 2017 an unserem Institut über seine eigene Arbeit vorgetragen hat, setzen Farbdias gezielt Bakterien aus. Ganter visualisiert die dadurch verursachten Veränderungen auf großen C-Prints.
Die Dias der Sammlung Feist wurden hingegen ohne weiteres Zutun von Mikroben befallen. Die betroffenen Bilder sind als solche für ihren ursprünglichen Zweck kaum noch zu gebrauchen und lassen sich auch digital nur wenig verbessern. Im einen oder anderen Fall ergeben sich aber reizvolle Muster: Bei der Aufnahme des flachen Reliefs von Rolf Biebl und Clemens Gröszer mit dem Titel “Begegnungen”, das 1985 auf dem Gelände der Berliner Gartenschau in Marzahn (heute Gärten der Welt) aufgestellt wurde, kann man zunächst kaum unterscheiden, ob sich die Farbflecken auf dem Gegenstand selbst oder auf der Bildfläche befinden.
Fast wie bei bei unserem letzten Fundstück ist eine – zwar nicht verschwundene, aber wohl nicht so geläufige – Gemäldegalerie zu sehen. Auch diese enthält leicht erkennbare Bilder, vor allem die sog. Transfiguration von Raffael, die die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor mit der Episode der Heilung des Bessessen Jünglings verbindet. Aber etwas irritiert zugleich, da es sich ja offensichtlich nicht um eine Sonderausstellung handelt: Hing die Transfiguration – wenn auch zeitweilig von Napoleon nach Paris entführt – nicht seit Erfindung der Fotografie ununterbrochen in der Vatikanischen Pinakothek? Zeigt das Bild rechts daneben nicht die Sybillen der Chigi-Kapelle in der Kirche S. Maria della Pace in Rom? Die Beschriftung des Dias verrät es bereits: Zu sehen ist der sog. Raffaelsaal im Orangerieschloss in Potsdam und die Gemälde sind alle Kopien, meist in Originalgröße, im Fall der Fresken jedoch verkleinert.
Dieses Fundstück ist gegen Ende des Jahres 2020 unsere kleine Hommage an Raffael, der zum Schock der römischen Kunstszene im Alter von 37 Jahren am 6. April 1520 überraschend gestorben ist. Er soll unter dem fast vollendeten Bild der Transfiguration in seinem Atelier aufgebahrt worden sein, bevor er im römischen Pantheon bestattet wurde. Das ist nun 500 Jahre her. In der Folgezeit erfuhr Raffael hohe Wertschätzung mit periodischen Höhepunkten, unter anderem um und nach 1800 durch die deutschen Romantiker. Im Zuge dieser Raffaelbegeisterung ließ der preußische König Friedrich Wilhelm III. Kopien nach Raffaels Gemälden anfertigen, da die Originale bereits kaum mehr erhältlich waren und er zugleich an einer Art enzyklopädischen Raffaelsammlung interessiert war. Insbesondere kapitale Stücke wie die Sixtinische Madonna, die August III. von Sachsen für Dresden im 18. Jahrhundert noch hatte kaufen können, waren inzwischen außer Reichweite. Aber erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Stern Raffaels im Zuge antiakademischer Kunstentwicklungen schon im Sinken begriffen war, entstand unter Friedrich Wilhelm IV. und Ks. Wilhelm I. der Raffaelsaal im Orangerieschloss als öffentlicher Schauraum.
Peter Feist, der die leider nicht ganz scharfe Aufnahme im Raffaelsaal 1972 gemacht hat, war kein Spezialist für italienische Renaissance-Kunst, aber er zollte dieser Epoche – ebenso wie die gesamte DDR-Kunstwissenschaft – ein gewisses Interesse, da sie für die Darstellung des Menschen und der materiellen Welt von enormer Bedeutung war. Der Leipziger Ordinarius Ernst Ullmann, mit dem Feist kollegial und freundschaftlich verbunden war, publizierte zum 500 Geburtstag 1983 sogar eine aufwändige Raffael-Monografie im VEB Seemann-Verlag. Es könnte sein, dass er – obwohl ebenso wie Feist mit großzügigen Reisemöglichkeiten ausgestattet – hierfür auch das eine oder andere Mal den Potsdamer Raffaelsaal besucht hat.
(GS)
Noch ein paar Ausblicke im Anschluss: Ein Museum für Kopien? Die Anfertigung von Kopien von berühmten Gemälden war im 18. und 19. Jahrhhundert nicht ungewöhnlich, vor allem um damit Privaträume oder Galerien etwa in Schlössern auszustatten. Diese Praxis ist eine erste kunsthistorische Rezeption, die weiterer Untersuchung wert wäre.
Im 19. Jahrundert wird die Perspektive stärker kunsthistorisch: Der Sammler Graf Schack in München hat um die Mitte des 19. Jahrhunderts für seine Sammlung, die vowiegend romantische Landschaftsbilder enthält, auch Tizian-Gemälde kopieren lassen und in seiner Galerie ausgestellt. Die Sammlung ging als Vermächtnis 1894 an Kaiser Wilhelm II. (und damit ebenfalls in den Besitz der Hohenzollern) über, der dafür neben der preußischen Gesandtschaft einen eigenen Museumsbau errichten ließ (heute Teil der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen).
Noch einmal zurück zu Raffael: Prinz Albert, der Mann von Queen Victoria von England, schlug in den 1850er Jahren bereits eine andere Richtung ein und ließ – beginnend mit der eigenen Zeichnungssammlung in Windsor – Raffael-Werke nicht abmalen, sondern fotografieren, mit dem Ziel, das erste komplette Bildkorpus eines Künstleroeuvres anzulegen (https://www.rct.uk/collection/themes/trails/prince-albert-his-life-and-legacy/prince-alberts-raphael-collection). Damit war der Übergang von der Nachbildung zur Dokumentation vollzogen.
Dieses Großdia aus der alten Lehrdiasammlung stammt wohl aus den 1920er oder 30er Jahren und ist nicht beschriftet, sondern besitzt nur einen kleinen weißen Aufkleber als Markierung, wie es in den Projektor zu stecken ist. Es zeigt eine menschenleere Gemäldegalerie, die nicht ohne Weiteres zu identifizieren ist. Sofort wiederzuerkennen sind darin aber Teile eines Weltkunstwerks, nämlich einige Tafeln des Genter Altars von Hubert und Jan van Eyck, der heute wieder an seinem ursprünglichen Bestimmungsort in der St. Bavo-Kirche in Gent, Belgien, zu bewundern ist.
Dass das Dia im Schrank “Berlin” aufbewahrt wird, mag zunächst erstaunen, erklärt sich aber dadurch, dass sich Tafeln des Genter Altars in Berlin befanden, teils ergänzt um Kopien der fehlenden Stücke. Für unser Dia ist das natürlich ein Hinweis darauf, dass es sich um eine Darstellung aus der Zeit handelt, in der die Tafeln im Besitz der Berliner Gemäldegalerie waren. Die Abbildung zeigt tatsächlich die Hängung im Alten Museum, bevor die Gemäldegalerie 1904 in das Kaiser-Friedrich-Museum, das heutige Bode-Museum, umzog.
Die lange Geschichte vom Kauf der Tafeln 1821 (Schinkels Museum war noch nicht einmal gebaut!) bis zu ihrer Abgabe im Rahmen des Versailler Vertrags 1920 kann hier nicht wiedergegeben werden; sie ist jüngst von Stephan Kemperdick und Johannes Rößler im Ausstellungskatalog “Der Genter Altar der Brüder van Eyck. Geschichte und Würdigung” Petersberg 2014, dargestellt worden. Dort finden sich auch Einzelinformationen, etwa dass es im Alten Museum einen Durchblick auf die Rückseiten aus dem Nebenraum gab, da die Vorder- und Rückseiten noch nicht für eine Nebeneinander-Hängung gespalten waren.
Die Raumansicht, die man in der schwarzweißen Wiedergabe des Glasdias auf den allerersten Blick wegen der stringenten Perspektive für ein retouchiertes Foto halten könnte, ist tatsächlich ein Gemälde von Karl Bennewitz von Loefen d.J., das zu Beginn der 1880er Jahre entstand. Dabei handelt es sich um die einzige Abbildung, die die museale Präsentation des Genter Altars in Berlin zeigt, d.h. es ist kein einziges Foto von dieser Präsentation bekannt. Das Dia, von dem die Mediathek zwei fast identische Exemplare besitzt, wurde vermutlich vom Original des Gemäldes entweder vom Instituts- oder vom Museumsfotografen für eine Vorlesung abfotografiert. Wie die einzelnen Tafeln des Altars heute aussehen, kann man hervorragend auf der Seite http://closertovaneyck.kikirpa.be/ betrachten.
Karen Fromm, Sophia Greiff, Malte Radtki, Anna Stemmler (Hrsg.):
image/con/text/
Dokumentarische Praktiken zwischen Journalismus, Kunst und Aktivismus
Aktuelle künstlerische und journalistische Positionen, insbesondere im Fotobuch, aber auch in Film, Multimedia und Comic eröffnen neue Perspektiven für Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. Arbeiten von Eva Leitolf, Laia Abril oder Max Pinckers erweitern unser Verständnis der dokumentarischen Form.
Bei der Kombination von Bild und Text gibt es unterschiedlichste kommunikative Strategien. Im Medium Fotobuch sowie in Film, Multimedia und Comic eröffnen aktuelle journalistische und künstlerische Positionen neue Perspektiven für Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. So wird unser konventionelles Verständnis der dokumentarischen Form erweitert. Arbeiten von Laia Abril, Max Pinckers, Eva Leitolf oder auch Jean-Luc Godard werden in diesem Band vorgestellt. Sie betonen die Kontextualität von Fotografie und zeigen, dass sich Bedeutung nur in dem komplexen Zusammenspiel von Bildern, Texten und Dokumenten erschließen lässt.
Die Herausgeber*innen
Alle: Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie, Hochschule Hannover. Karen Fromm, Professorin, Sophia Greiff, Doktorandin Folkwang Universität der Künste Essen, Malte Radtki, Assistent für [IMAGE MATTERS], Anna Stemmler, Doktorandin HU Berlin.
Die Autor*innen
Laia Abril, Crofton Black, Edmund Clark, Susanne von Falkenhausen, Joan Fontcuberta, Thomas Helbig, Eva Leitolf, Regine Petersen, Max Pinckers, Peter Puklus, Fred Ritchin, Anja Schürmann, Alisha Sett, Florian Sturm, Friedrich Weltzien
Mit Texten in Deutsch und Englisch, 352 S. mit 163 Farb- und 5 Sw-Abb, 17 × 24 cm, Freirücken-Breitklappenbroschur
Staatliche Museen zu Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin
Moritz Wullen, Georg Schelbert (Hg.)
Das Piranesi-Prinzip
Publikation zur Ausstellung
Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) war ein universales Talent des 18. Jahrhunderts. Er machte internationale Karriere als Archäologe, Künstler, Architekt, Sammler, Kunsthändler, Designer, Verleger, Autor und als temperamentvoller Polemiker. Sein Erfolgsprinzip bestand darin, die Wirklichkeit mit ihren Ideen, Dingen und Situationen zu ergreifen und in Neues zu verwandeln. Alles wurde für ihn zur Inspiration: die Künste ferner Epochen und Regionen, Bilder aus Wissenschaft, Technik, Oper und Theater, der Papierabfall seiner eigenen Werkstatt, sogar Schmähungen und Niederlagen.
Der Katalog zur Ausstellung anlässlich seines 300. Geburtstags lässt dieses Piranesi-Prinzip wieder in seiner ganzen Kreativität lebendig werden. Im Mittelpunkt stehen die großen Schätze der Kunstbibliothek und des Kupferstichkabinetts: Piranesis meisterhafte Radierungen und monumentale Bücher, Streitschriften, satirische Bilder und noch nie gezeigte Handzeichnungen. Der Katalog schließt mit einem „Piranesi-ABC“, das neben dem Künstler auch den Menschen in seinem Zeitgefüge lebendig werden lässt.
Die Katalogtexte und das ABC wurden von Studierenden des IKB im Rahmen von zwei Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2019/20 und Sommersemester 2020 verfasst.
Leipzig, E.A. Seemann-Verlag 2020
Deutsche und englische Ausgabe (ISBN 978-3865024435 u. 978-3865024442) Webseite des Verlags