Census Fellowship in the Reception of Antiquity

Census Fellowship in the Reception of Antiquity

Humboldt-Universität x Bibliotheca Hertziana x Warburg Institute

Application deadline: 31 May, 2023

The Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin, the Bibliotheca Hertziana – Max Planck Institute for Art History, and the Warburg Institute, School of Advanced Study, University of London, are pleased to announce a fellowship in Berlin, Rome, and London, offered at either the predoctoral or postdoctoral level.

These fellowships grow out of the longstanding collaboration between the Humboldt, the Hertziana, and the Warburg in the research project the “Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance” (https://www.census.de).

The fellowships extend the traditional chronological boundaries of the Census and are intended for research and intellectual exchange on topics related to the reception of antiquity in the visual arts between c. 1350 and c. 1900. In the context of the fellowships, the topic of the reception of antiquity is also broadly conceived without geographical restriction. Proposals can optionally include a digital humanities perspective, engage with the database of the Census (https://database.census.de), or make use of the research materials of the Census project available in Berlin, Rome, and London.

The Humboldt, the Hertziana, and the Warburg co-fund a research grant of 6–9 months for students enrolled in a PhD program, or 4–6 months for candidates already in possession of the PhD. Fellows can set their own schedule and choose how to divide their time between the three institutes, but they should plan to spend at least one month in residence at each of the three institutions.

The stipend will be set at c. 1,500 EUR per month at the predoctoral level and c. 2,500 EUR per month at the postdoctoral level, plus a travel stipend. The fellowship does not provide housing.

Candidates can apply via the portal available on the Hertziana website (https://recruitment.biblhertz.it). They should upload the requested PDF documents in English, German, or Italian by 31 May, 2023, with details of their proposed dates for the fellowship during the academic year 2023/24 (July 2023–July 2024).

Fundstück #44

#44 Einem geschenkten Gaul…

Diapositive der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm bzw.der Reichsanstalt für Film und Bild in Unterricht und Wissenschaft (links u. mittig mit Signet RfdU – 1934-1940, rechts mit Signet RWU – ab 1940). Fotos: W. Hege, R. Bothner, unbekannt; Digitalisate: Mediathek des IKB.

Die Lehrbildsammlung enthält zahlreiche Dias, die von einer Organisation hergestellt oder vertrieben wurden, die 1934 als „Reichsstelle für den Unterrichtsfilm“ (RfdU) durch den Reichsminister für Wissenschaft und Volksbildung, Bernhard Rust, gegründet wurde. Sie war vor allem auf das neue Medium des Films ausgerichtet. Jedoch spielte die Fotografie ebenfalls eine ebenso große, ja sogar zunehmende Rolle, wie auch in der 1940 erfolgten Umbenennung in „Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ (RWU) zum Ausdruck kommt. Gründe dafür waren die gegenüber dem Film günstigeren Kosten und die vielfältigeren Möglichkeiten der Verbreitung. Neben der Herstellung von Film- und Bildmaterial bestand die wichtigste Funktion der Reichsstelle/Reichsanstalt in der Auswahl und dem Vertrieb des Materials.

Primäres Ziel war die Versorgung von Bildungseinrichtungen mit visuellem Material. Dabei sollten die Leistungen des „Deutschtums“ im Allgemeinen und des nationalsozialistisch geführten Staates im Besonderen vermittelt werden. Im Bereich der Kunstgeschichte drückte sich diese Absicht in romantisierenden Stadtansichten und Abbildungen von Kunstwerken aus, die die Leistungen und die prägende Rolle deutschen Kulturschaffens – besonders auch in Gebieten am Rand oder außerhalb des „Reiches“ – zeigen sollen.

Ein Teil der Bilder ist mit vorgedruckten Etikettierungen versehen, die sich auf den Produktionsprozess („Vom Original“, „Vom Doppelnegativ“) oder auf bestimmte Zusammenstellungen („Musterreihe“, „Schul-Kernreihe“, Abb. rechts) beziehen. Gelegentlich geht aus zusätzlichen Kennzeichungen hervor, dass die jeweilige Aufnahme von einem externen Fotoverlag bzw. einer Bildagentur (bspw. Benzinger, Seemann, Stoedtner, Foto Marburg) geliefert wurde. Seltener wird dabei auch der Name eines Fotografen angegeben (bspw. Robert Bothner für die Württembergische Bildstelle, vgl. Abb. Mitte). Ob die Reichsstelle/Reichsanstalt überhaupt eigene Fotograf:innen beschäftigte, oder das Material grundsätzlich bei anderen Agenturen in Auftrag gab oder erwarb, haben wir bislang nicht ermittelt. Generell ist das kunsthistorische und volkskundliche Bildprogramm der Einrichtung noch zu erforschen.

Der Umstand, dass diese Dias in unserer Sammlung fast alle einen Nachkriegsstempel tragen, deutet darauf hin, dass sie erst nach der Wiedereröffnung der Berliner Universität 1946 in den Bestand gelangten. Andernfalls hätten sie bereits einen Vorkriegsstempel erhalten, denn es kann davon ausgegangen werden, dass Dias, die zwischen 1931 und dem Kriegsende eingegliedert wurden, generell mit einem zeitgenössischen Stempel versehen wurden (vgl. Fundstück #30).
Warum aber Bildmaterial aus der nationalsozialistischen Erziehungsbürokratie in der sozialistischen Universität? Es kann nur vermutet werden, dass die professionell komponierten – zuweilen den Bildgegenstand inszenierenden, jedoch per se harmlosen – Aufnahmen in ihrer dokumentarischen und fotografischen Qualität weiterhin als nützlich angesehen wurden. Möglicherweise waren kritische Bilder vorab ausgesondert worden.

Nicht deswegen, weil in Berlin mit Richard Hamann ein älterer Fachvertreter verantwortlich war, sondern weil die Kenntnis der kanonischen Hauptwerke grundlegender Teil des Curriculums blieb, bestand weiterhin Interesse an Abbildungen der Werke der älteren Kunstepochen. Ein vorwiegend bild- oder fotohistorisches Interesse kann hingegen ausgeschlossen werden. Dann wären die Dias nicht jeweils unter den Bildinhalten einsortiert, sondern als „Fotografie des NS-Bildungswesens“ (o.ä.) geschlossen aufgestellt worden.

Da die Reichsstelle bzw. Reichsanstalt zahlreiche regionale Agenturen unterhielt, können keine Rückschlüsse gezogen werden, woher das in unserer Sammlung befindliche Material konkret stammt. Wie die wenigen – und vielleicht vom späteren universitären Einsatz stammenden – Gebrauchsspuren zeigen, waren die Dias jedenfalls gut erhalten und konnten vermutlich umsonst erworben werden. Man mag sich damals also am Sprichwort orientiert haben: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Ein kleiner Hinweis darauf, dass man sich nicht ganz wohl mit der Herkunft des Material fühlte, ist nur die gelegentliche, fast verschämt wirkende Übermalung des Signets der Reichsstelle mit rotem oder blauem Farbstift (vgl. Abb. rechts).

(G.S.)

(Datensätze zum Objekt: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%2C+%40%4025808)

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Aufruf aller bisherigen Fundstücke: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/category/fundstück/

Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #43

#43 Klassensystem

Abb. 1. Kasten mit D.I.A.L./Iconclass-Bildkartei, Bildsammlungen der Mediathek (Foto G. Schelbert, CCBYSA 4.0)

Im Sammlungsbestand der Mediathek befinden sich mehrere Karteikästen mit kryptischen Aufschriften, bestehend aus Zahlen- und Buchstabenkombinatonen. Die Kästen enthalten postkartengroße Fotoabzüge mit einer Zusammenstellung von Abbildungen von Gemälden, Zeichnungen oder Druckgrafiken und einigen beschreibenden Daten (Abb. 1). Am oberen Rand der Abbildungen finden sich – wohl in das Bild einbelichtet – wieder die eingangs genannten Zahlen-Buchstaben-Kombinationen, beispielsweise 73C1 (Abb. 2). Wer sich mit der Kodierung von christlicher oder antiker Ikonographie beschäftigt hat, erkennt in den Zeichen sogenannte Iconclass-Codes und kann sie mit Hilfe eines Verzeichnisses entschlüsseln. 73C1 steht für das Bildthema „Geschichte Johannes des Täufers“.

Bei den Kästen handelt es sich nämlich um eine umfangreiche Bildkartei, die mit dem Iconclass-System erschlossen ist. Iconclass wurde in den 1940er Jahren von Henri van de Waal entwickelt, zunächst unter dem Namen D.I.A.L. (Decimal Index of the Art of the Low Countries). Die hierarchische Klassifikation ist besonders gut mit dem Computer zu verarbeiten und gewinnt daher seit den 1990er Jahren kontinuierlich an Bedeutung in kunsthistorischen Datenbanken. Sie dient zur inhaltlichen Erschließung von Kunstwerken und zum Abgleich zusammengehöriger Daten. Seit Mitte der 2000er Jahre ist die Datenbank online unter https://iconclass.org offen konsultierbar.

Die Systematik wurde lange vor dem Aufkommen des Computer entwickelt und fand in erster Linie auf Karteikarten Verwendung. Die Karten konnten mit Hilfe der Codes alphanumerisch sortiert und damit nach Bildthemen angeordnet werden. Vorbilder des Kodierungsverfahrens waren Dezimalklassifikationen der Wissensgebiete aus dem bibliothekarischen Bereich, wie die erstmals 1876 publizierte Dewey Decimal Classification.

Einer bestimmten Zahl von Hauptabteilungen (bei Iconclass inzwischen zehn) sind hierarchisch gestaffelte Ebenen mit Unterbegriffen zugeordnet. Die Geschichte Johannes des Täufers ist damit ein Teil der biblischen Ereignisse (7) bzw. des Neuen Testaments (73), oder – noch genauer – der Ereignisse aus der Zeit des öffentlichen Lebens Christi von der Taufe bis zur Passion (73C). Für die einzelnen Episoden der Geschichte Johannes des Täufers können weitere Ziffern an den Code 17C1 angehängt werden.

Durch Kombination von mehreren Iconclass-Notationen lassen sich nahezu beliebige Sachverhalte ausdrücken. Die allgemeine Notation 49N= „Lesen“ ist in unserem zweiten Beispiel mit der Notation 46E22.1= „Soziales Leben, Kommunikation/Kommunikationsmittel/Post/Brief“ verbunden – hier noch mit einem Pfeil versehen, der angibt, unter welcher der beiden Notationen die Karte einsortiert werden soll (Abb. 3). Beide Notationen gehören in diesem Fall der Oberklasse 4 „Gesellschaft, Zivilisation, Kultur“ an.

Derartige Ordnungssysteme sind verständlicherweise hochgradig normativ und oft inhaltlich stark vereinfachend. Gerade die Iconclass-Nomenklatur stand in letzter Zeit in der Kritik, weil sie in manchen Bereichen (z. B. Kolonialkunst) heutigen Anforderungen an eine begriffliche Neutralität nicht mehr zu genügen scheint. Zu berücksichtigen ist aber, dass Iconclass nicht in erster Linie begrifflich einordnende Aussagen über die Gegenstände machen will, sondern vor allem der leichteren Auffindbarkeit von Bildern anhand ihres Inhalts dient. Im Vordergrund stand zunächst die Formalisierung christlicher und profaner Bildinhalte, wie sie sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit de facto entwickelt haben.

Zurück zu unserer Kartei. Abgesehen von den Kästen und den handgeschriebenen Trennkarten, mit denen die Notationsgruppen abgeteilt sind, wurde die Kartei keineswegs im Institut oder von einer Privatperson angefertigt, sondern wurde – immer noch unter der Bezeichnung D.I.A.L. – vom Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie (RKD) zwischen 1950 und ca. 1970 in jährlichen Lieferungen angeboten. Eine solche Lieferung umfasste 500 Abbildungen niederländischer Kunst mit Metadaten und Iconclass-Code, hergestellt als Abzüge auf Fotopapier. Der Gesamtumfang des Werks betrug demnach etwa 10.000 Kunstwerke auf Karten.

Wie bei vielen anderen Sammlungsbeständen der Mediathek fehlt auch hier die Dokumentation der Erwerbungsumstände, so dass wir nicht wissen, seit wann sich die D.I.A.L.-Kartei in Institutsbesitz befindet. Der Stempel „Humboldt Universität zu Berlin. Kunstgeschichtliches Institut“ deutet jedoch darauf hin, dass die Karten wohl tatsächlich im genannten Publikationszeitraum angeschafft wurden, denn nach 1968 wurde die Kunstgeschichte in „Kunstwissenschaftliches Institut“ umbenannt. Es wäre noch zu ermitteln, inwieweit das Set vollständig ist.

Mit einem Preis von 150 Gulden pro jährlicher Lieferung, der 1969 auf 200 Gulden erhöht wurde (Quelle: Rechnungsdokument des RKD für eine andere Institution, frdl. Mitt. H. Brandhorst) war die Anschaffung nicht billig. Aber der klassifizierende, geradezu bürokratische Zugang zur Kunst – hier außerdem vorwiegend an der weltzugewandten niederländischen Kunst exemplifiziert – stand der marxistisch-leninistischen Ideologie der DDR-Kunstgeschichte offenbar nahe genug um diese Investition zu rechtfertigen, auch wenn kaum vorhandene Gebrauchsspuren nicht auf eine tatsächlich häufige Verwendung hindeuten. Damit gehörte die Humboldt-Universität einem eher exklusiven Kreis von weltweit 110 Abonnenten an (diese Zahl wird in einem Katalog für das Jahr 1968 angegeben). Welche anderen kunsthistorischen Institute im deutschsprachigen Raum die Kartei ebenfalls bezogen, ist uns nicht bekannt.

(G.S.)

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Call for Fellows: Käte Hamburger Centre for Advanced Study inHerit. Heritage in Transformation

Dear colleagues,

The new Käte Hamburger Centre for Advanced Study inHerit. Heritage in Transformation, based at the Humboldt-Universität zu Berlin, invites applications from both experienced and early career post-doc researchers for fellowships to begin in 2024.
The application deadline is 12 May 2023.

Applications should address questions of heritage in transformation in relation to one or more of the Centre’s guiding themes: Decentring the West, Decentring the Human, and Transforming Value. Successful projects are likely to be based in original empirical or archival study/analysis of source material (which may have already been undertaken) or creative work, and to probe historically and socio-culturally situated notions and practices of inheritance, heritage, value and temporality – and associated key concepts – through alternatives, such as those based in non-Western, indigenous, historically marginalized or imaginative perspectives. Projects examining or creatively addressing transformations at the intersection between increasingly globally widespread practices, such as restitution, digitalization, genetic ancestry testing and legal changes, and those that address transregional experiences and practices are especially welcome.

Researchers and topics from areas currently underrepresented in heritage scholarship, including the global South and Eastern Europe, are especially encouraged to apply. We also welcome applications from artists, film-makers and curators.

For more information about the call, please see https://inherit.hu-berlin.de/

Please distribute this information widely!

With best wishes,
Irene Hilden

Dr. Irene Hilden | inHerit. Heritage in Transformation
Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) | Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK)
Humboldt-Universität zu Berlin | +49 (0)30 2093-70848 | irene.hilden@hu-berlin.de

Fundstück #42

#42 Breite Straße im Vorfrühling

Von diesem Fundstück zeigen wir ausnahmsweise nur kleine Ausschnitte. Es handelt sich diesmal auch nicht um ein Objekt aus den Diabeständen, sondern um eines aus den Sammlungen der Fotoabzüge. Zu diesen gehört ein Satz von etwa 80 großformatigen Papieren mit Aufnahmen der Preußischen Meßbildanstalt (vgl. Fundstück #33), die wir kürzlich mit der PhaseOne-Kamera digitalisiert haben. Sie zeigen unter anderem Fassaden von barocken und klassizistischen Wohnhäusern in Berlin, die um 1890 mit der Absicht aufgenommen wurden, die durch die rasante Bautätigkeit der sog. Gründerzeit bedrohte Wohnarchitektur Alt-Berlins zu dokumentieren.

(Abb. 1, Aufnahme des Hauses in der Breiten Straße Nr. 3 in Berlin (zerstört), Ausschnitt; Kgl. Preußische Meßbildanstalt, um 1890, Fotograf unbekannt, Digitalisat: Mediathek des IKB (Link zum Grafikserver Digilib, wo der entsprechende Bildausschnitt aufgerufen wird)

(Abb. 2, Aufnahme des Hauses in der Breiten Straße Nr. 3 in Berlin (zerstört), Ausschnitt; Kgl. Preußische Meßbildanstalt, um 1890, Fotograf unbekannt, Digitalisat: Mediathek des IKB (Link zum Grafikserver Digilib, wo der entsprechende Bildausschnitt aufgerufen wird)

Fassaden von Wohngebäunden eignen sich als rechteckige Flächen besonders gut für die fotografische Erfassung. Die Fassade des Hauses Breite Straße 3 – ehemals direkt vor dem Schloss, jetzt zerstört – ist übersäht mit Details, vor allem vielen Beschriftungen, die überwiegend Reklamezwecken dienten und nach heutigen Bau- und Denkmalvorschriften gar nicht mehr zulässig wären. Mit diesen vielen „unfreiwillig“ erfassten Details ist das Foto ein ideales Beispiel für dasjenige Merkmal der Fotografie, das gerade Pioniere wie William Henry Fox Talbot als das typische, die Fotografie von der Handzeichnung unterscheidende ansahen: Nämlich, dass die Fotografie alles, auch das unbedeutendste Detail, unterschiedslos aufzeichnet.

(Abb. 3, Aufnahme des Hauses in der Breiten Straße Nr. 3 in Berlin (zerstört), Ausschnitt; Kgl. Preußische Meßbildanstalt, um 1890, Fotograf unbekannt, Digitalisat: Mediathek des IKB (Link zum Grafikserver Digilib, wo der entsprechende Bildausschnitt aufgerufen wird)

(Abb. 4, Aufnahme des Hauses in der Breiten Straße Nr. 3 in Berlin (zerstört), Ausschnitt; Kgl. Preußische Meßbildanstalt, um 1890, Fotograf unbekannt, Digitalisat: Mediathek des IKB (Link zum Grafikserver Digilib, wo der entsprechende Bildausschnitt aufgerufen wird)

Der dem Digitalisat zugrundeliegende Abzug besitzt ein Format von rund 40 x 40 cm. Bei derartigen Abmessungen würde man normalerweise eine Vergrößerung vermuten, was hier jedoch nicht der Fall ist. Vielmehr handelt es sich um einen Kontaktabzug von einer ebenso großen Negativplatte. Die Messbildanstalt verwendete eigens konstruierte Spezialkameras, die mit derartig großen Platten bestückt wurden. Große Formate waren in der Frühzeit der Glasplattenfotografie, insbesondere wenn es um künstlerische Ansprüche ging, nicht selten. Der bekannte Fotograf Adolphe Braun verwendete für seine monumentalen Landschaftsaufnahmen und Stilleben in den 1860er und –70er Jahren sogar Formate von über einem Meter. Mit steigender Qualität der Emulsionen sowie der zunehmenden Beachtung des (Zeit)Aufwands beim Fotografieren wurden die Glasplatten gegen Ende des 19.Jh. deutlich kleiner.

Die Meßbildanstalt behielt die Großfomate jedoch bei, da sich nur von höchst aufgelösten Abbildungen maßgenaue Aufrisspläne – das eigentliche Ziel der Messbilder – erstellen ließen. Wie auch unser Beispiel zeigt, ging das Repertoire der Meßbildanstalt jedoch von Anfang an über dieses Aufgabenspektrum hinaus: Es entstanden viele Aufnahmen, die nicht zur Anfertigung von Aufrissen, sondern „nur“ als fotografische Dokumentation dienten. Hier führte das große Format natürlich zu einer überaus hohen Bildqualität. Auch bei unserer Aufnahme lassen sich kleinste Details erkennen– bis hin zu Schriften auf Werbeplakaten oder Schildern an Hauseingängen. Klar erkennbar ist außerdem anhand der unbelaubten Bäume, dass das Bild wohl im Vorfrühling entstand.

Für die Online-Konsultation großer Bildformate haben wir den Graphikserver Digilib installiert. Damit lassen sich im mit 600ppi aufgelösten Digitalbild die kleinsten Details, die mit dem bloßen Auge am Abzug kaum erkennbar sind, herausvergrößern und zudem per URL definieren und weitergeben: Das kann ein Werbeschaukasten des bekannten Porträtfotografen Richard Kasbaum sein [Abb. 1], oder die Gaslaterne mit ihren Leitungen und Ventilen [Abb. 2], eines der offenbar bereits damals verbreiteten Fensterthermometer [Abb. 3], oder die Werbeinschrift auf einem Speditionsfuhrwerk [Abb. 4]. Ausgehend vom Gesamtbild können online beliebig viele weitere Details selbst aufgespürt werden.

Bei welcher Gelegenheit das Konvolut der Meßbildabzüge in den Bestand des Instituts gelangte, ist nicht bekannt. Gekennzeichnet als Ausschussware, wurden sie vielleicht unentgeltlich erworben. Überlassungen von Meßbildern verzeichnen die damals von Heinrich Wölfflin verfassten Jahresberichte des Instituts bereits für die Jahre 1903 („dazu kamen gegen 200 Blätter deutsche Architektur, die uns der Herr Minister auf unser Ansuchen geschenkeweise von der Kgl. Meßbildanstalt überweisen ließ“) und 1904 („50 Blätter der kgl. Meßbildanstalt [mittlalterliche deutsche Architektur]“). Auch wenn die Zahl der Abzüge nicht mit den genannten Zahlen übereinstimmt, handelt es sich aufgrund des Stempels offensichtlich um Abzüge, die noch vor dem Ende des 2. Weltkriegs in die – dann leider weitgehend zerstörte – Fotosammlung gelangten.

Daher ist ein Zusammenhang mit der späteren Zuständigkeit des Instituts für das Meßbildarchiv unwahrscheinlich. Die Geschichte der Staatlichen Bildstelle und des Instituts für Kunstgeschichte muss im Einzelnen noch geschrieben werden. Hier sei nur angemerkt, dass das 1945 von der Sowjetarmee nach Moskau abtransportierte Meßbildarchiv im Jahr 1959 nach Berlin zurückgebracht und nun in die Obhut des kunsthistorischen Instituts übergeben wurde. Damit damit war das Institut zugleich schlagartig zu einem der bedeutendsten architekturhistorischen Bildarchive Deutschlands geworden. Die Humboldt-Universität mietete hierfür ein ganzes Geschäftshaus in der Gormannstr. 22 an. Überfordert mit der Verwaltung dieses gigantischen Bestands, der in keinem sinnvollen Verhältnis zu den Bedarfen des Lehr- und Forschungsbetriebs stand, entschied sich die Universität jedoch 1968 für die vollständige Abgabe an die staatliche Denkmalpflege, wo das Bildmaterial bislang allerdings – weder hinsichtlich der Katalogdaten, noch der Bilddaten online zugänglich – bedauerlicherweise der Forschung weitgehend entzogen ist. Es ist davon auszugehen, dass die Negativplatte für unser Fundstück noch heute dort aufbewahrt wird.

(G.S.)

(Datensätze zum Objekt: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/view.php?ref=76297)

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Aufruf aller bisherigen Fundstücke: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/category/fundstück/

Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

inherit. Heritage in Transformation: BMBF fördert ab 2024 ein neues Käte Hamburger Kolleg an der HU

inherit. Heritage in Transformation
BMBF fördert ab 2024 ein neues Käte Hamburger Kolleg an der HU

 

+++ for an English version, please see below +++

Was prägt eine Gesellschaft? Was macht Identität oder Differenz aus? Wie lassen sich Zugehörigkeit, Eigentum oder gar das Verhältnis von Geschichte, Gegenwart und Zukunft definieren? Um diese zentralen Fragen unserer Zeit dreht sich das Käte Hamburger Kolleg „Heritage in Transformation“ (inherit), welches das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ab 2024 an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) fördert. Das Kolleg hat sich zum Ziel gesetzt, vor dem Hintergrund global-gesellschaftlicher Umwälzungsprozesse „Heritage“ als Aktivität, die im ständigen Wandel begriffen ist, in den Fokus zu rücken.

Bei „Heritage“ geht es nicht nur um materielles Kulturerbe, das zum Beispiel in Form von Ausstellungsobjekten in Museen identitätsstiftend wirken kann. Auch immaterielle Aspekte oder das Naturerbe werden betrachtet. So werden internationale Forschende unter anderem danach fragen, wie Heritage in unterschiedlichen Kontexten hergestellt, ausgehandelt und verändert wird, welche Rolle die Natur in der Ausformung kulturellen Erbes spielt oder wie Gesellschaften weltweit mit umstrittenen Kulturgütern oder mit der Erinnerung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit umgehen. Damit werden sie nicht nur neue Perspektiven für gesellschaftliche Debatten liefern, sondern auch innovative Ansätze für die Geistes- und Sozialwissenschaften hervorbringen. Geleitet wird das InHerit-Kolleg von der Kunsthistorikerin Eva Ehninger und der Sozialanthropologin Sharon Macdonald.

 

Über Käte Hamburger Kolleg

Globalisierung, Recht, Religion, Arbeit oder Umwelt – mit dem Käte Hamburger Kolleg eröffnet das BMBF bereits seit 2008 herausragenden Forscherpersönlichkeiten Freiräume für geisteswissenschaftliche Forschung zu vielfältigen gesellschaftlichen Themenbereichen. In den Kollegs arbeiten Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen frei von vielen Verpflichtungen des Wissenschaftsalltags zu selbst gewählten Fragestellungen, gemeinsam mit Fellows aus aller Welt, die jeweils bis zu zwölf Monate nach Deutschland eingeladen werden.

 

Weitere Informationen

Meldung der HU: „Die Geisteswissenschaften tragen entscheidend zum Renommee der Humboldt-Universität bei“

Meldung des BMBF zum Käte Hamburger Kolleg inherit

Meldung der HU zum Käte Hamburger Kolleg inherit

 

Kontakt

Eva Ehninger (eva.ehninger@hu-berlin.de)

Sharon Macdonald (sharon.macdonald@hu-berlin.de)

 

+++

 

“InHerit” – Heritage in Transformation

BMBF to fund a new Käte Hamburger Kolleg at the HU from 2024 onwards

What shapes society? What constitutes identity or difference? How can we define belonging, ownership or the changing relationship between history, present and future? Funded by the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) at the Humboldt-Universität zu Berlin (HU) from 2024, the Käte Hamburger Centre for Advanced Study “Heritage in Transformation” (InHerit) revolves around these central questions of our time. InHerit will be led by art historian Eva Ehninger and social anthropologist Sharon Macdonald.

Together with international fellows, heritage will be analyzed as a pluralizing, ongoing activity; heritage’s influence on changing social relations will be a key focus of examination; and the transformation and expansion of heritage itself, through innovative knowledge exchange formats, will be actively pursued. The resulting new form of heritage research positions the humanities at the centre of addressing fundamental global transformation processes, leading to the reshaping of the humanities’ own epistemological frames of reference.

InHerit’s core research themes are based on these paradigm shifts:

(1) the decentring of the West or Global North;

(2) the decentring of the human, and accompanying focus on connections to, and interdependencies with, nature; and

(3) the transformation of attributions of value, especially in relation to changes in reflections on the parameters of collecting.

InHerit’s emphatically transdisciplinary, practice-oriented approach, in which the humanities are central, will tackle urgent social, cultural, political and environmental challenges, and, thus, directly address the key idea of the BMBF programme “Understanding Society – Shaping the Future.”

 

About the Käte Hamburger Kolleg

Globalisation, law, religion, work or the environment – with the Käte Hamburger Kolleg, the BMBF offers outstanding scholars the freedom to conduct research on a broad spectrum of social issues in the humanities since 2008. As Centres for Advanced Study, the Käte Hamburger Kollegs give scholars in the humanities and social sciences the freedom to work on topics of their choice, free from many of the obligations of everyday academic life, together with fellows from all over the world who are invited to Germany for up to twelve months.

 

 

Fundstück #41

#41 Negativ + Negativ = Positiv

zwei Diapositive mit Abbildungen des ersten Töne-Kapitells aus Cluny

Abb. 1. Diapositive von 1955. Cluny, Kapitell aus dem Chorumgang der ehem. Abteikirche mit der Darstellung der ersten vier Töne des Gregorianischen Kirchengesangs. Ansichten der Seiten mit viertem und erstem Ton. Aufnahme unbekannt (Foto Marburg), 1927, Digitalisat: Mediathek des IKB

Die Diapositive der 1950er Jahre tragen fast alle zwei Nummern. Die eine Nummer ist zumeist fünfstellig und ist mit blauer Tinte geschrieben, die andere besteht aus zwei Zifferngruppen, geschrieben in roter Tinte und durch einen Schrägstrich voneinander getrennt (Abb. 1.). Da die älteren Diapositive nur eine Nummer tragen (vgl. Fundstück #30), die fortlaufend weitergezählt wurde, stellte sich die Frage, welchen Grund es hierfür gab. Die beiden Zahlen irritieren dadurch, dass sie einerseits in Abhängigkeit voneinander zu stehen schienen, jedoch in der Differenz auch immer wieder variieren. Die Lösung des Rätsels war umso frappanter, als sie einen ganzen weiteren Sammlungsbestand erklären konnte.

Im Archiv der Mediathek befinden sich 57 Archivkartons mit Glas- und Planfilmnegativen verschiedener Formate. Der Bestand umfasst allein Tausende von Glasplatten, die zur Zeit gesichtet werden. Der allergrößte Teil dieser Platten weist das Format 9x12cm auf, der Rest die doppelten und vierfachen Formate 12×18 und 18 x 24. Erwartet man bei Fotonegativen in der Regel Originale (jeder Fotoabzug setzt ja ein Negativ voraus), waren erste Sondagen und die weitere Durchsicht diesbezüglich ernüchternd. Es handelt sich, insbesondere bei den Kleinformaten, offensichtlich um Reproaufnahmen, erkennbar an den mitfotografierten Rändern von Buchseiten oder Fotoabzügen. Offen war nun die Frage, wofür diese Aufnahmen bestimmt waren.
Erst nachdem wir nach und nach genauere Vorstellungen vom Produktionsprozess der Glasdias gewonnen hatten, führten schließlich Nummern, die auf Negativen aufgebracht sind, zur Schlussfolgerung, dass die Glasplatten nicht etwa für Papierabzüge oder als Druckvorlagen bestimmt waren, sondern zur Herstellung der in der Lehre benötigten Glasdias!

Die bei Stichproben festgsetellten völlig identischen Größenmaße der Abbildungen auf den Negativen und auf den Dias zeigen darüber hinaus, dass die Dias wohl direkte Kontaktkopien der Negativen sind: Die unbelichtete Dia-Glasplatte wurde zusammen mit dem Negativ in der Dunkelkammer in einen Kopierrahmen gespannt und belichtet. Fototechnisch gesehen ist auch die Dia-Glasplatte ein Negativ, jedoch mit den Dia-typischen Dimensionen von 8,5 x 10cm und einer etwas härteren Gradation der Emulsion, damit das Bild beim Kopieren nicht an Kontrast verlor. Das auf Negativmaterial umkopierte Negativ ergibt jedoch wieder ein Positiv, das dann im Hörsaal auf die Leinwand projiziert werden kann.

Negativplatte mit Reproaufnahmen von zwei Fotoabzügen, das erste Töne-Kapitell aus Cluny darstellend

Abb. 2: Repronegativ mit zwei auf Tisch platzierten Fotoabzügen (Foto Marburg, fm35727 und fm35728), Fotograf unbekannt, Reproaufnahme 1954. Ansicht der Fotoschicht; Inventarnummern auf der rückwrärtigen Glasseite aufgetragen (daher gespiegelt). Digitalisat: Mediathek des IKB

Nun war klar, dass die zweite, in roter Farbe geschriebene Zahlenkombination auf unseren 1950er Jahre-Dias die Nummer der Reproaufnahme bezeichnet, von der das Dia kopiert wurde – genauer gesagt: die Nummer der jeweiligen Bildvorlage, von der ein Dia kopiert werden sollte. Denn bei unseren beiden herausgegriffenen Dias des Tönekapitells aus der Abteikirche von Cluny wurden, um Material zu sparen, auf dem Negativ beispielsweise zwei Vorlagen mit einer einzigen Aufnahme erfasst. Sie erhielten die Nummern 3303 und 3304, die dann jeweils auch auf den einzelnen Dias vermerkt wurden – ergänzt um die Jahreszahl der Anfertigung, hier also (19)54.

Auch schon in früheren Zeiten waren – im Wechsel mit Ankäufen von Diaverlagen und anderen Bezugsquellen – Dias mittels Reproaufnahmen im Haus hergestellt worden, aber offenbar erst seit dem Jahr 1952 wurde das System für die Nummer der Negative eingeführt. Die Zahl der Negative wurde über die Jahre hinweg kontinuierlich weitergezählt und erreichte bis zum Beginn der 1960er Jahre etwa 9500. Wir gehen davon aus, dass sich diese Aufnahmen alle im Archiv der Glasnegative befinden, das jedoch aufgrund seiner ungeordneten Struktur bislang schwer zu überblicken ist.

Der Aufwand, “nur” für Repro-Fotografien Glasnegative anzufertigen, erscheint aus heutiger Sicht sehr hoch. Alternativ wäre aber nur das in dier Zeit bereits verfügbare Kleinbildformat in Frage gekommen, das jedoch Qualitätseinbußen und die Notwendigkeit einer – fehleranfälligen und erneut qualitätsmindernden – Vergrößerung mit sich bringt (vgl. Fundstück #34). Auch der Aufwand für die Aufbewahrung der Glasnegative nach der Anfertigung der Dias überrascht zunächst, allerdings konnte dieser auch von Nutzen sein: Sollte ein Dia im Lehrbetrieb zu Bruch gehen, konnte vom Negativ schnell ein neues hergestellt werden.

Erst mit der Einführung des Kleinbilddias entfielen alle dieses Schritte. Hier wird der Umkehrfilm belichtet, der dann entwickelt und gerahmt direkt als – nur ein einziges Mal vorhandenes – Dia verwendet werden kann. Damit entfallen sowohl ein weiterer Kopierprozess, als auch die Frage der Aufbewahrung der Kopiervorlage.

(G.S.)

(Datensätze der beiden Dias in der Datenbank imeji: http://imeji-mediathek.de/imeji/browse?q=fundstueck41)

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #40

#40 Verhinderte Wissensräume

Diapositive und Abbildungen in Buchpublikation: Bibliothekssäle in Geras und Zwettl

Abb. 1.: Diapositive, Bibliothekssäle in Geras und Zwettl (Niederösterreich); Abbildung Nr. 76 aus Lehmann, Bibliotheksräume, Berlin 1996. Jeweils Reproduktionen nach Aufnahmen von Werner Tschink 1957. Die Diapositive sind vermutlich Reproduktionen nach Abzügen von den Originalnegativen, weisen aber Überbelichtungen und Randundschärfen auf. Digitalisate: Mediathek des IKB

1996 erschien die zweibändige Publikation „Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster in der Zeit des Barock“ von Edgar Lehmann, herausgegeben vom Deutschen Verein für Kunstwissenschaft (der im Folgenden als DVKw noch mehrfach genannt wird). Der 1909 geborene Autor war damals 87 Jahre alt und verstarb ein Jahr später.

Ursprünglich war Lehmann vor allem ein Experte für mittelalterliche Kirchenbauten mit zahlreichen einschlägigen Publikationen, beginnenend mit seiner bereits 1937 erschienenen Dissertation „Der frühe deutsche Kirchenbau. Die Entwicklung seiner Raumanordnung bis 1080“, einem korpusartig-typologischen Überblick, der in der Fachwelt weithin rezipiert wurde. Aber auch das Gebiet der Bibliotheksbauten war für Lehmann eine Art Lebensthema. Er hatte es 1947 in der Qualifikationsarbeit für die Ausbildung zum wissenschaftlichen Bibliothekar und erneut in seiner Habilitationsschrift 1950 zum Gegenstand gemacht. Nachdem er seine Ergebnisse noch 1951 auf dem in Berlin noch gesamtdeutsch abgehaltenen Kunsthistorikertag vortragen konnte, gelang es aber offenbar nicht mehr, aus der Habilschrift eine adquate Buchpublikation zu erstellen, obwohl bereits eine Vereinbarung mit dem DVKw getroffen war. Es erschien lediglich 1957 eine eher schmale Übersicht zu einem Nachbarthema, nämlich zu den Bibliotheksräumen des Mittelalters.

Lehmann war zunächst als wissenschaftlicher Bibliothekar, Assistent und schließlich Privatdozent an der Universität Jena tätig, ging aber 1954 nach Berlin an die von Richard Hamann gegründete Arbeitsstelle Kunstgeschichte an der Akademie und übernahm 1961 nach Hamanns Tod deren Leitung. Nach Auflösung der Arbeitsstelle im Zuge einer Neuausrichtung der Akademie wechselte er 1971 ins zentrale Institut für Denkmalpflege der DDR und trat 1974 in den Ruhestand. Er verfasste zahllose Publikationen zum mittelalterlichen Kirchenbau, die auch größere, gemeinsam mit Ernst Schubert und anderen erstellte monografische Arbeiten zu den Domen in Meißen und Halberstadt einschlossen. Zu den barocken Bibliotheksräumen erschienen nur kleinere Aufsätze. Erst nach der Wiedervereinigung eröffnete sich die Möglichkeit, sein Korpuswerk zu den Barockbibliotheken – auf der Basis der jahrzehntealten Vereinbarung mit dem DVKw – zu vollenden.

Der Umstand, dass sich unter den Lehrdias – nach bisherigem Kenntnisstand – etwa zwei Dutzend aus den 1950er Jahren befinden, die Ansichten von barocken Bibliothekssälen in Klöstern zeigen, war für uns Anlass, einen Blick in Lehmanns Buch zu werfen. Immerhin war er am Institut lehrend tätig. Tatsächlich finden sich direkte Entsprechungen zu den gedruckten Abbildungen.

Da diese Abbildungen damals noch nicht publiziert waren, wurden für die Dias sicherlich Reproaufnahmen von originalem Fotomaterial gemacht, das Lehmann im Rahmen seiner Forschungsarbeit erworben oder eigens hat anfertigen lassen. Allerdings wurde beim Abfotografieren für die Dias nicht allerhöchste Sorgfalt aufgewendet. So sind einige von ihnen überbelichtet, andere weisen deutliche Randunschärfe auf, was vermuten lässt, dass der aufgenommene Fotoabzug nicht plan lag. Die Originalaufnahmen müssen hingegen einwandfrei gewesen sein, wie die Abbildungen in der Buchpublikation beweisen, der sie als Vorlage gedient haben (Abb. 1).

Umgekehrt scheint es unter den Dias auch Aufnahmen zu geben, die keinen Eingang in die Publikation fanden, vielleicht weil sie aus irgend einem Grund unbefriedigend waren, wie etwa im Fall der Bibliothek von Roggenburg, die in den 1950er Jahren offenbar in ruinösem Zustand und ohne Buchbestand war. In diesem Fall wurde fast vier Jahrzehnte später eine farbige Aufnahme mit genau der gleichen Perspekive erstellt, die den Saal in restauriertem Zustand zeigt – nun aber voller moderner Konferenzstühle (Abb. 2).

Nur einzelne der betreffenden Dias besitzen eine Inventarnummer aus dem Jahr 1957, die Mehrzahl jedoch gar keine Inventarnummer, was vielleicht dafür spricht, dass sie außer der Reihe hergestellt wurden.

Diapostive und Abbildung in Buch; Bibliothekssaal in Roggenburg

Abb. 2. Diapositiv, Bibliothekssaal in Roggenburg (Bayerisch Schwaben), Aufnahme unbekannt (Werner Tschink 1957?); Abbildung Nr. 242 aus Lehmann, Bibliotheksräume, Berlin 1996, Bibliothekssaal in Roggenburg, Aufnahme von Andrea Gössel 1990/1996. Die dem Dia zugrundeliegende Aufnahme zeigt einen ruinösen Zustand der Bibliothek, der für die Buchpublikation nicht akzeptabel erschien. Digitalisat: Mediathek des IKB

Anhand des Abbildungsnachweises von Lehmanns Buch lässt sich ermitteln, dass ein Teil der Vorlagen unserer Dia-Gruppe von dem bislang kaum untersuchten Fotografen Werner Tschink stammt. Seine Abbildungen, 65 Stück, bildeten mit rund 10% zugleich die größte Gruppe des Abbildungsapparats des Buches. Da sich unter Tschinks Aufnahmen in der Publikation auch spezielle Ansichten und Detailaufnahmen befinden, wurden sie sicherlich nicht nur einfach vom Fotografen erworben, sondern eigens angefertigt.

Tschink hatte in Berlin eine Fotografenausbildung von 1952 bis 1955 bei dem bekannten Architekturfotografen Arthur Köster absolviert und war Lehmann wohl erst in dessen Berliner Zeit begegnet. Der Nachruf von Rainer Kahsnitz – damals Vorsitzender des DVKw – auf Edgar Lehmann liefert weitere Einzelheiten zu dem gesamten Projekt. Demnach konnte Lehmann noch 1957 eine Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für eine dreiwöchige Fotokampagne in Westdeutschland, Österreich und der Schweiz annehmen, die er mit Tschink durchführte. In diesem Zusammenhang sind die Aufnahmen sicherlich entstanden.

Warum das Publikationsprojekt anschließend abgebrochen wurde, ist nicht bekannt. Der Umstand, dass Tschink sich bald darauf der Archäologie zuwandte und anschließend für längere Zeit am Deutschen Archäologischen Institut in Bagdad tätig war, dürfte kaum eine ursächliche Rolle gespielt haben, da viele Aufnahmen ohnehin aus anderen Quellen stammen.

Ausschlaggebend war vielmehr wohl die verschärfte politische Ausrichtung des kultur- und Wissenschaftssektors in dieser Zeit. Diese ist wohl auch bei der Frage nach dem Zweck der Dias zu berücksichtigen: Lehmann hatte nach seinem Wechsel von Jena nach Berlin seit 1955 Lehraufträge an der Universität wahrgenommen. Es wäre naheligend, dass die Dias für eine der Lehrveranstaltungen hergestellt wurden. Der Blick ins Vorlesungsverzeichnis enttäuscht jedoch: Selbst wenn sich das Thema der Bibliotheksräume – da es als Nischenthema wohl kaum mehr zu den immer gobaler gefassten Veranstaltungstitel gepasst hätte – hinter der Ankündigung „Ausgewähltes Thema über die Kunst des Barock und Rokoko“ verborgen hätte, wäre dies im „Frühjahrssemester 1955/56“ zu früh für den Einsatz der in Rede stehenden, 1957 angefertigten Aufnahmen und Dias.

Im Herbstsemester 1958 trat Lehmann im Vorlesungsverzeichnis nicht mehr auf. Das stand zweifellos im Zusammenhang mit der kurz zuvor erfolgten unfreiwilligen Räumung des Lehrstuhls durch seinen Mentor Richard Hamann, der freilich ohnehin längst das Pensionsalter überschritten hatte. Gemeinsam mit ihm zog sich Lehmann wohl vollständig die Arbeitsstelle der Akademie zurück, die er ja drei Jahre später auch ganz übernahm. Vielleicht waren unsere Dias also für eine im Herbst 1958 geplante Lehrveranstaltung bestimmt, die dann nicht mehr stattfand.

Wie auch immer: Die beiden Gruppen von Bild-Manifestationen, die wir hier angesprochen haben – die Dias in der Lehrbildsammlung und die schließlich 1996 gedruckten Repoduktionen – sind lediglich “Spuren”. Sie sind Derivate der eigentlichen, wie wir nun wissen, 1957 getätigten Aufnahmen, beziehungsweise ihrer ersten Materialisierung, der Negative, über deren aktuellem Verbleib – wie so oft bei den Fundstücken – derzeit nur gemutmaßt werden kann.

(G.S.)

(Datensätze mit Dias mit mutmaßlichen Aufnahmen von Werner Tschink für Edgar Lehmanns Korpuswerk zu barocken Bibliothekssälen: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection604299 )

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #39

#39 Vorhangbogen und andere Verdeckungen

Diapositiv, Ansicht der Szcytna-Straße in Thorn (Toruń)

Diapositiv, Ansicht der Szcytna-Straße in Thorn (Toruń). Fotografie: Franz Stoedtner, Digitalisat: Mediathek des IKB

Heute ein Fundstück im Fundstück: Die Aufnahme des Dias entstand in Toruń, deutsch Thorn, an der Weichsel. Das Dia trägt zwar nicht die zusätzliche Etikettierung „Originalaufnahme …. 1908“, ist aber aufgrund von Bildgegenstand und Bestellnummer eindeutig Stoedtners Reise nach Westpreußen von 1908 zuzuordnen (vgl. Fundstück #38).

Die – wie praktisch alle Orte der Region – ursprünglich slawische Ansiedlung Toruń wurde in den 1230er Jahren an leicht verändertem Standort vom Deutschen Orden neu gegründet und ist vorwiegend von spätmittelalterlichen Backsteinbauten geprägt. Franz Stoedtner fotografierte neben den beiden großen Kirchen und dem Rathaus auch einige Bürgerhäuser der Stadt. Es wäre interessant zu wissen, auf welcher Grundlage Stoedtner seine Auswahl traf. Orientierte er sich an älteren Denkmal-Inventaren und anderer Literatur? Hatte er bereits zuvor ausgearbeitete Listen, holte er vor Ort Information ein, oder ließ er sich spontan von seinem Kunsturteil leiten?

Letzteres könnte hier der Fall gewesen sein. Das mit „gothisches Haus mit Fialenpfeiler und Vorhangbogen, 14. Jh.“ beschriftete Dia zeigt die Aufnahme eines Wohnhauses mit einer hohen, mit sogenannten Vorhangbogen abgeschlossenen Blendgliederung. Die meisten Häuser in der ulica Szcytna, der Schildergasse (damals in Schillerstr. umbenannt) haben durchaus mittelalterliche Dimensionen und Proportionen, auch wenn die Fassaden überwiegend neuzeitlich überformt sind und viele Giebel fehlen. Dieser – heute noch existierende – modern unterkellerte Bau mit symmetrisch aufgeteilter siebenachsiger Fassade und vier Vollgeschossen ist hingegegen mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mittelalterlich. Vielmehr ist – so unsere hier vertretene Einschätzung – dieses Haus wohl nicht im 14., sondern eher um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden und als neogotisch anzusehen.

Jedoch handelt es sich nicht etwa um eine zufällige Fehlbezeichnung, da es bemerkenswerterweise noch ein zweites Exemplar dieses Dias in der Sammlung des Instituts gibt, das eine gleichlautende Beschriftung aufweist. Auch das heute bei Foto Marburg aufbewahrte Negativ von Stoedtner ist so gekennzeichnet. Ist Stoedtner hier beim Heben übersehener Schätze über das Ziel hinausgeschossen? Oder hat er sich gar seinen Kunden gegenüber einen Scherz erlaubt? Wir wissen es nicht. Dass Stoedtner diesen Bau ästhetisch interessant fand, ist nicht überraschend, wirkt er doch wie ein Vorläufer der damals in Berlin gerade aktuellen Bauten Alfred Messels, die sich ja ebenfalls auf gotische Architektur bezogen.

Fraglich ist auch, zu welchem Zweck das Bild in die Sammlung des Instituts aufgenommen wurde. Die Inventarnummer 23967 verrät, dass das um 1915 stattfand, wie auch das zeitspezifische Firmenetikett bestätigt. Offensichtlich wurde die Bezeichnung des Gegenstands akzeptiert, da in vielen anderen Fällen bei angenommenen Fehlern korrigiert oder gar neu beschriftet wurde. Noch überraschender ist, dass gerade von diesem eher unspektakulären Wohngebäude ein zweites Dia vorhanden ist.

Diapostiv, Ansicht der Szcytna-Straße in Toruń

Diapositiv, Ansicht der Szcytna-Straße in Toruń. Fotografie: Franz Stoedtner, Digitalisat: Mediathek des IKB

Allerdings ist diese weitere Exemplar – obwohl in etwa der gleichen Zeit angefertigt und mit dem gleichen Firmenetikett versehen – nicht völlig identisch: Es zeigt einen größeren Ausschnitt der Straßenfront. Beide Dias wurden sicherlich vom gleichen Negativ kopiert, das also den größeren Bildausschnitt enthalten muss. Beim ersten Dia sind die Nebenbauten lediglich abgedeckt, um das Hauptmotiv stärker zu isolieren, beim zweiten sind sie sichtbar.

Was aber ist an den Seiten zu sehen? Während im Hintergrund ein dreiachsiges Geschäfts- und Wohnhaus identifiziert werden kann, sind im Vordergrund zwei Achsen eines Backsteinbaus mit großen, leicht hufeisenförmigen Tür- und Fensteröffenungen zu erkennen.

Ganz offensichtlich handelt es sich um eine Synagoge aus der Mitte oder zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich im heutigen Stadtbild nicht mehr findet. Tatsächlich stand hier die Hauptsynagoge, die 1885 als siebenachsiger Bau mit einem zwiebelbekrönten Turm errichtet wurde. Gleich im ersten Winter der deutschen Besatzung, 1939-40, wurde sie zerstört und abgebrochen. An ihrer Stelle befindet sich heute ein Wohn- und Geschäftshaus mit einer Gedenktafel. Warum nun die Synagoge bei diesem Exemplar des Dias, dessen Beschriftung ebenso ausschließlich auf das Haus in der Mitte verweist, sichtbar gelassen wurde, ist eine offene Frage. Unklar ist nicht zuletzt, wann und durch wen dieses Exemplar des Dias in die Lehrbildsammlung gelangte, da es keine Inventarnummer trägt.

(G.S.)

(Datensätze der beiden Dias: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection604261 )

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #38

#38 Reise in den Osten

Diapositiv mit Ansicht von Gollub (Golub-Dobrzyń)

Diapositiv mit Ansicht von Gollub (Golub-Dobrzyń) am Fluss Drewenz mit der Ruine der Deutschordensburg. Fotografie: Franz Stoedtner, Digitalisat: Mediathek des IKB

Der Glasdiahersteller und Fotograf Franz Stoedtner ist uns schon mehrfach begegnet. Das ist nicht überraschend – nicht nur, weil er als Doktorschüler Herman Grimms dem Institut eng verbunden war, sondern da unsere Sammlung, wie fast jede kunsthistorische Diathek des frühen 20. Jahrhunderts, einen einen beachtlichen Prozentsatz an Bildern Stoedtners enthält. Zudem ist die Erforschung seiner Tätigkeit noch ein Desiderat.

Stoedtner hatte sein Institut 1895 in Moabit, vielleicht bei seiner damaligen Wohnung gegründet. 1904 verlegte er es in direkte Nachbarschaft der Universität in die Universitätsstraße 3a in das gerade fertiggestellte Bürogebäude, das heute die sozialwissenschaftlichen Institute der Humboldt-Universität beherbergt. Damals scheint das Unternehmen sich in steilem Aufschwung befunden zu haben. Hatte Stoedtner in der Anfangsphase wohl noch viel mit fremdem Bildmaterial gearbeitet, führte er spätestens jetzt umfangreiche und systematische Kampagnen mit neuen Originalaufnahmen durch. Er vermerkte dies in Form von gedruckten Beschriftungen „Originalaufnahme (ges. gesch.) Dr. F. Stoedtner, Berlin“ mit der Jahreszahl (1904, 1907 oder 1908).

1908 veröffentlichte Stoedtner einen ersten umfangreichen Katalog unter dem Titel „Deutsche Kunst in Lichtbildern: Ein Katalog, zugleich ein Kompendium für den Unterricht in der Kunstgeschichte“. Im Vorwort betont er seinen Ehrgeiz, vor allem Orte, die bislang wenig dokumentiert waren, aufzusuchen:

„Deutsche Kunst! Als einen ersten Versuch übergebe ich der Oeffentlichkeit nach jahrelanger Arbeit einen umfassenden, deutschen Katalog über Lichtbilder meines Verlages […].Durch selbständige Aufnahme des deutschen Kunstgutes, soweit es an Ort und Stelle geblieben ist, biete ich dem akademischen Lehrer z. T. gänzlich neues Material zum Studium und zur wissenschaftlichen Untersuchung, bekannteres Material in neuer künstlerischer Auffassung und in guten Detailaufnahmen. Grosse Gebiete des Deutschen Reiches habe ich selbst bereist, um – ausgerüstet mit speziell für meine Zwecke konstruierten, technisch vollendeten Apparaten, die die Anwendung von Gerüsten meist überflüssig machen – der deutschen Kunst zu der ihr gebührenden Stellung im Unterricht zu verhelfen; denn – offen gesagt – wer kennt eigentlich die ungeheuren, so wichtigen Schätze, die abseits der grossen Verkehrslinien sich befinden? Ja, wie viele wichtige Werke in besuchteren Orten sind unbekannt oder nicht nach Gebühr gewürdigt!“

Aus Stoedtners Bildern in unserer Sammlung lässt sich eine Reise in die östlichen Gebiete des damaligen Deutschen Reichs herauslesen. Unter den mit „1908“ gekennzeichneten Dias sind – neben solchen von klassischen Kunststätten wie Bamberg, Rothenburg, Nürnberg und Dresden sowie Aufnahmen aus der Berliner Gemäldegalerie – Ansichten von Orten im damaligen West- und Ostpreußen zu finden. Die bislang gefundenen Ortsnamen umfassen ein Gebiet, das Süden von Thorn und im Norden von Danzig begrenzt wird und im Nordosten bis nach Königsberg reicht (s. Abb. 2). Die Fotografien zeigen Bauten der spätmittelalterlich geprägten Bürger- und Hansestädte wie Thorn, Kulm, Schwetz, Neuenburg, Danzig und Königsberg, vor allem deren große Kirchen. In großer Zahl vertreten sind auch die Burgen des Deutschen Ordens, der im Mittelalter das gesamte Gebiet beherrschte, bis dieses schrittweise im 15. Jahrhundert durch das Königreich Polen erobert wurde und später mehrfach zwischen Preußen und Polen wechselte. Nach unserem Diabestand zu schließen, suchte Stoedtner mindestens Rheden, Gollub, Marienwerder, Marienburg, Frauenburg und Lochstedt auf.

Manches, was Stoedtner fotografierte, insbesondere im später von der Sowjetunion und Russland übernommenen Gebiet von Königsberg, existiert heute nicht mehr, da es abgebrochen wurde. In den heute polnischen Gebieten wurde hingegen einiges über den damaligen Zustand hinaus wiederaufgebaut. So ist die Burg Gollub, die in Stoedtners Aufnahme in einer fast altmeisterlichen Landschaftsbild-Komposition als Ruine zu sehen ist (Abb. 1), heute im Zustand des Renaissanceschlosses Zeit des polnisch-schwedischen Königs Sigismund III Wasa rekonstruiert.

Karte mit Markierung der Orte, die bisher der Reise Stoedtners zuzuordnen sind

Abb. 2. Karte mit Markierung der Orte, die bisher der Reise Stoedtners zuzuordnen sind (Zusammenstellung G. Schelbert)

Anhand der vorhandenen Bilder können bislang die wichtigesten Stationen der Fahrt nachvollzogen werden, aber noch nicht die genaue Abfolge. Es wäre zu prüfen, ob sich diese anhand der Bestellnummern rekonstruieren ließe. Etwas verwirrend hinsichtlich des Zeitpunkts der Reise ist, dass Stoedtner sein oben zitiertes, scheinbar ganz im Rückblick gehaltenes Vorwort auf November 1907 datierte, während die Bilder das Datum 1908 tragen.

Denkbar wäre, dass Stoedtner das Vorwort zwar 1907 abgefasst hat, aber dennoch 1908 weiter fotografierte – der Vegetation auf den Aufnahmen nach zu urteilen, sind die hier besprochenen Fotografien im Frühsommer oder Sommer entstanden – und den Katalog tatsächlich erst im späteren Verlauf des Jahres 1908 abgeschlossen und publiziert hat. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass die Reise bereits ein Jahr früher stattfand, und dass das Etikett der mit Jahreszahl bezeichneten „Originalaufnahme“, das Stödtner ja nur in drei Jahren verwendete, eine Art datierter Copyright-Kennzeichnung darstellt.
Eine konkrete Rekonstruktion dieser und anderer Vorgänge sowie der allgemeinen Produktionsabläufe in Stoedtners Firma können freilich nur mit weiterer Forschung, etwa einer Auswertung des Firmenarchivs, das sich im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte/Foto Marburg befindet, erreicht werden.

(G.S.)

(Dias, die der Aufnahmekampagne zugeordnet werden können, teils in später hergestellten Exemplaren: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=!collection604236 )

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