Humboldt-Preis 2023 geht an Ana Nasyrova M.A.

Wir gratulieren:
Der Humboldt-Preis 2023 geht an Ana Nasyrova M.A. vom IKBPierre-Ambroise Richebourg, Salon de 1857 : vue générale de la nef du Palais de l'Industrie / Salon 1857, Gesamtansicht des Schiffs vom Palais de l’Industrie, 1857, Abzug auf Albuminpapier, auf Karton kaschiert, 33,2 x 42,5 cm, Paris, Musée d’Orsay.

Zusammenfassung der Masterarbeit
„Die Widersprüchlichkeit der Moderne: Salon de Paris und Édouard Manet“
(betreut von
Prof. Dr. Eva Ehninger und Prof. Dr. Claudia Blümle)

 Die Masterarbeit widmet sich dem Pariser Salon und umfasst die letzten 20 Jahren seiner Existenz unter staatlicher Verwaltung. Die Untersuchung setzt sich das Ziel, die politischen, sozialen und ökonomischen Ereignisse und Reformen in und außerhalb des Salons nachzuvollziehen, um erstens die Ursachen des Prestige-Verlusts der Ausstellung und ihrer Entstaatlichung 1881 festzustellen, und zweitens die fiktive, aber weit verbreitete Vorstellung von der Konfrontation zwischen den Künstler:innen des Modernismus und der akademischen Tradition am Beispiel seiner Beziehung zu Édouard Manet infrage zu stellen. Die Arbeit untersucht die Zeit von 1859 bis 1881, in welcher der Salon die Auswirkungen der rasanten Stadt-Modernisierung, des politischen Regime-Wechsels und des Übergangs zu den Normen der Industriegesellschaft bewältigen musste. Dabei werden die Entscheidungen des Salons zu Manet, der sich in diesem Zeitraum für insgesamt 19 Salonausstellungen beworben hat, als symptomatisch für seine inneren Prozesse und Krisen gelesen.

 

 

Rekonstruktivismen – Ringvorlesung des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte

Rekonstruktivismen
Ringvorlesung des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte

WS 2023/24

mittwochs, 16.15 -17.45 Uhr, Hörsaal 207, Dorotheenstr. 26

Barrierefreier Zugang zu Hörsaal 207 erfolgt über den Seiteneingang in der Universitätsstraße. Der Beschilderung folgen. Ein Aufzug ist vorhanden.

Siehe einzelne Vorträge dazu unter der Rubrik Veranstaltungen

Rekonstruktivismen übersetzen Vergangenes in die Gegenwart. Derart berühren sie das Spannungsfeld zwischen Vergessen und menschlicher Erinnerung. Am Offensichtlichsten geschieht dies in archäologischen, architektonischen oder konservatorischen Kontexten, aber auch in Historiographien oder durch Anekdoten. Rekonstruktionen spielen in künstlerischen Werken, in performativen Praxen oder als Inhalte malerischer Bildstrukturen ebenso eine Rolle wie für das kuratorische Denken oder die Ausstellungspraxis; sie können im Rahmen der kritischen Theorie oder geschichtsphilosophischer Denkmodelle adressiert werden.

Vor dem Hintergrund einer Vielzahl aktueller, oft kontrovers geführter Rekonstruktionsdebatten – die vom Berliner Schloss bis zur Kathedrale von Notre Dame reichen, aber auch Ausstellungen und Kunstwerke betreffen können – befragt die Ringvorlesung sowohl den Begriff, als auch gegenwärtige Phänomene des Rekonstruktivismus. Anhand verschiedener Case Studies aus der Kunst- und Bildgeschichte, der zeitgenössischen Kunst, Archäologie, Philosophie, Medientheorie, Architektur und Restaurierung sollen die oftmals impliziten und inkongruenten Konzepte und Praxen der Rekonstruktion kritisch diskutiert werden und mit anderen Formen der Wiederholung oder Revision (zum Beispiel bei Repliken oder KI-generierter Kunst) in Dialog gesetzt werden. Phänomene, die unter den Begriff der Dekonstruktion fallen, sind wiederum als Beispiele einer über die archäologische Praxis hinausgreifenden, “gebauten” bzw. “kreativen Zerstörung” zu berücksichtigen. Sie operieren über Prozesse des Wegnehmens und Addierens und zielen aus unterschiedlichen Motivationsgründen (ästhetisierend, informativ, oder sogar ideologisch) darauf ab, zeitliche Strukturen zu markieren oder zu verwischen.

Rekonstruktionen schaffen neue Rahmen und damit neue Wahrnehmungsbedingungen für orginäre Konstellationen, Räume, Strukturen und Temporalitäten. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern Affirmationen historischer Gegebenheiten, die oft als identitätsbildend verstanden werden, auch als Transformationen lesbar sind. Können produktive Lücken und kritische Wirkungen in Prozessen der Wiederholung entstehen, die sich Praktiken des Neulesens oder Re-enactments annähern? Um Rekonstruktivismen als pluralistische Denkfigur zu untersuchen, befassen sich die Beiträge folglich auch mit der Frage, ob sich Rekonstruktionen ebenso nach ihren ideologischen Wirkungen, als auch nach Möglichkeiten der Widerständigkeit befragen lassen.

Die epochen- und medienübergreifende Ringvorlesung versammelt Beiträge von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte und von externen Expert*innen.

Studienangebot: LV-Nr. 533605, WS 2023/24
BA Studiengang Kunst- und Bildgeschichte: Modul III;
MA Studiengang Kunst- und Bildgeschichte: Modul VI und X;
ÜWP für weitere Fachrichtungen

Fundstück #50

#50 Zwillingsstudien

Abb. 1. Luftbild der Wartburg, Fotograf unbekannt, im Auftrag der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm, 1934/1940: a) Dia nach „Original“-Negativ, in die Sammlung aufgenommen nach 1946; b) Dia nach „Doppelnegativ“, in die Sammlung aufgenommen nach 1946. (Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Bei Funden in Sammlungen handelt es sich nicht immer um Einzelstücke. Fast noch häufiger erregen Gruppen von Objekten mit gemeinsamen, hervorstechenden Merkmalen unser Interesse (so begann bereits die Serie, s. Fundstück #1). Gerade bei der Durchsicht größerer Mengen, die mit fortschreitender Digitalisierung und Katalogisierung immer einfacher wird, fallen Wiederholungen, Gruppierungen, oder bestimmte Muster auf. So auch hier.
Wie in jeder vergleichbaren Lichtbildsammlung finden sind mehrere Wiedergaben desselben Kunst- oder Bauwerks vorhanden. So gibt es zum Beispiel ältere und neuere Aufnahmen, oder einen besonderen Bildausschnitt eines Gemäldes. Bei Skulpturen sind neben Detailansichten auch Aufnahmen verschiedener Ansichten zu finden. Schon Wölfflin forderte, dass sich der Fotograf auf Hauptansichten konzentrieren sollte. Auch wenn die präzise Lage der „Hauptansicht“ (oder überhaupt ihr Vorhandensein) diskutierbar bleiben und schon kleine Verschiebungen im Betrachtungsstandort die Wirkung stark verändern können, ist die Häufung bevorzugter Perspektiven zu beobachten. Selbst bei Bauwerken, die mehrere Ansichtsseiten mit jeweils eigenem Wert haben (etwa bei einer Kathedrale mit Westfassade, Querschiffsfassaden und Chorkapellen), konzentrieren sich die Aufnahmen auf Standardansichten. Insbesondere bei bekannten Bauten gibt es die typische, kanonische Perspektive, die immer wieder gewählt wird. Dieses Phänomen ist heutzutage auch bei den Massen von touristischen Handyfotos im Internet zu beobachten.
Bei Lehrbildsammlungen sind es über diese ästhetischen Konventionen hinaus die Herstellungs- und Beschaffungsroutinen, die dazu führen, dass nicht nur dasselbe Objekt, sondern ein und dieselbe Aufnahme wieder und wieder auftaucht. Im Folgenden interessiert uns genau diese Form von Doubletten.

Manchmal wurden direkt zwei oder mehrere Dias einer Aufnahme erworben. Aber ebenso kann eine Aufnahme, die um 1900 gemacht wurde, um 1960 erneut zu einem Dia verarbeitet worden sein. Dazwischen liegen oft viele Kopierschritte, unter anderem über abfotografierte Bücher, die nicht immer bekannt sind.
Im einfachsten Doubletten-Fall wurde das gleiche Dia mehrfach bei einem Verlag bestellt. Grundsätzlich waren kunsthistorische Institute aber aufgrund der Kosten und des großen Bedarfs an verschiedenen Motiven hierbei zurückhaltend. In der Berliner Lehrbildsammlung gibt kaum Hinweise darauf, dass die gleiche Aufnahme von vornherein mehrfach beschafft wurde, etwa, weil das Bild in einer Vorlesung wiederholt gezeigt werden sollte.
Gelegentlich wurde jedoch – aus welchem Grund auch immer – ein Bestand übernommen, der bereits Doubletten enthielt. Das war offenbar der Fall bei Dias der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm, die wohl nach 1945 direkt aus Restbeständen der Einrichtung übernommen wurden (vgl. Fundstück #44). Manche Motive sind hier sogar drei- und vierfach vorhanden.
Hierbei sind bemerkenswerterweise die Dias derselben Aufnahme teils mit „vom Original“ und teils mit „vom Doppelnegativ“ bezeichnet. Offenbar wurden letztere Dias von einem weiteren Zwischennegativ angefertigt, was für Belichtungskorrekturen genutzt wurde, wie der unterschiedliche Kontrastverlauf der in der Sammlung vorhandenen Exemplare vermuten lässt (Abb. 1).

Abb. 2. Figuren im sog. Paradies des Münsteraner Doms, Aufnahme verm. v. F. Stoedtner, um 1900: a) Dia von ca. 1910, inventarisiert ca. 1912; b) Dia nach 1929, in die Sammlung aufgenommen verm. nach 1931.
(Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Weitere Doppelungen entstanden durch die Anschaffung oder Schenkung von Konvoluten, in denen Doubletten zu bereits vorhandenen Exemplaren enthalten waren. Das traf gerade auch bei Übernahmen aus anderen Lehrsammlungen zu; beispielsweise als Albert Erich Brinckmann 1931– vom Institut der Universität Köln kommend – oder Gerhard Strauß 1958 – von der Deutschen Bauakademie kommend – jeweils Bestände aus ihren vormaligen Einrichtungen mitbrachten (vgl. Fundstück #26). Brinckmann hatte explizit geäußert, dass er die vorgefundenen, zuletzt von seinem Vorgänger Adolph Goldschmidt aufgebauten Bildbestände qualitativ unzureichend fand. Daher ließ er in großem Stil Reproaufnahmen für Dias herstellen (vgl. Fundstück #32) und erwarb darüber hinaus wohl auch hunderte, wenn nicht tausende weiterer Dias von der Firma Stoedtner. Sie sind daran erkennbar, dass sie das Stoedtner-Etikett aus der Zeit um 1930 und einen Institutsstempel tragen. Wohl weil dieser Zuwachs so groß war, verzichtete man auf die Vergabe einer Inventarnummer (Abb. 2). Daher ist davon auszugehen, dass auch nicht geprüft wurde, ob bereits ein brauchbares Dia des Motivs – vielleicht sogar bereits aus Stoedtner-Produktion – vorhanden war, sondern Doppelungen in Kauf genommen wurden.

Abb. 3. Rembrandt, Kreuzaufrichtung aus dem Passionszyklus in der Münchner Alten Pinakothek, Aufnahme verm. v. F. Stoedtner, um 1900: a) Dia von ca. 1900 – vermutlich auf Wunsch – ohne Brauntönung, inventarisiert ca. 1900; dabei teils neu etikettiert und beschriftet; b) Dia von ca. 1900 mit Brauntönung, in die Sammlung aufgenommen zu unbekanntem Zeitpunkt (verm. Jahrzehnte später, da ohne Gebrauchsspuren).
(Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Vielleicht ebenfalls erst in dieser Zeit gelangte ein kleineres und älteres Stoedtner-Konvolut in die Sammlung, das für weitere Doubletten sorgte: Von Rembrandts Kreuzaufrichtung aus der Münchner Passion gibt es bspw. zwei von Stoedtner hergestellte Exemplare, die beide aus der gleichen Produktionsphase um 1900 stammen, wie man Typ des Etiketts ablesen kann (Abb. 3). Das ursprüngliche beschaffte Exemplar, das gemäß Inventarnummer um 1900 in den Bestand eingegliedert wurde, ist vom jahrzehntelangen Gebrauch völlig abgenutzt. Es zeigt vom Einstecken in den Projektorrahmen abgeriebene Etiketten und abgerissene Papierverklebungen. Das zweite Exemplar ist etwa gleich alt, vielleicht sogar älter, hat aber keine Gebrauchsspuren. Es besitzt eine starke Brauntönung, die vor und um 1900 – auch bei Porträtfotografien in der „piktorialen“ Fotografie – beliebt war. Es gibt zahlreiche weitere solcher – zwar sehr alter, aber keine Gebrauchsspuren aufweisender – Doubletten aus dem Stoedtner-Verlag, so dass vermutet werden kann, dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt – vielleicht als Schenkung – als Konvolut in die Sammlung kamen.

Abb. 4. Katholische Hofkirche in Dresden, Aufn. verm. v. F. Stoedtner: a) Dia nach 1929, in die Sammlung aufgenommen verm. nach 1931; b) Dia von 1953; Repro nach noch nicht identifizierter Buchvorlage. (Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als Richard Hamann das Institut leitete, wurden die Bestände in großem Stil durch im Institut angefertigte Reproaufnahmen ergänzt (vgl. Fundstück #41). Es entsteht der Eindruck, dass noch einmal besonderer Nachdruck auf die Vervollständigung des Fachkanons gelegt wurde. Als Grundlagen für die Auswahl dienten unter anderem Hamanns eigene „Geschichte der Kunst“ oder Adolfo Venturis “Storia dell’arte italiana”. Um den Bildbestand mit Hauptwerken zu vervollständigen, nahm man nicht nur schlecht gedruckte Vorlagen in Kauf, sondern arbeitete auch so schematisch nach den bereits in der Vorkriegszeit entstandenen Standardwerken, dass hier ebenfalls kein zuverlässiger Abgleich mit bereits vorhandenen Aufnahmen stattfand, die gelegentlich von deutlich besserer Qualität waren (Abb. 4).

Abb. 5. Gerichts- oder Engelspfeiler im Straßburger Münster, Aufn. unbekannt: a) Dia angefertigt und inventarisiert ca. 1928, Repro nach unbekannter Vorlage (Beschriftungen Adolph Goldschmidt); b) Dia angefertigt nach 1931; Repro nach unbekannter Vorlage. (Foto: unbekannt, Digitalisat Mediathek des IKB)

Da der Kontrastumfang bei jedem Kopiervorgang je nach Fotomaterial, Belichtung, Entwicklung etc. unterschiedlich ausfällt und außerdem Retuschen und andere Manipulationen möglich sind, können die verschiedenen Derivate der gleichen Aufnahme sehr unterschiedlich aussehen. Anhand von Aufnahmewinkel, Schattenwurf, Personen oder Mobiliar im Bild kann jedoch festgestellt werden, ob es sich um Derivate der gleichen Originalaufnahme handelt, wie im Beispiel einer Aufnahme des Engelspfeilers im Straßburger Münster (Abb. 5). Hier, wie bei anderen Beispielen, war man vielleicht mit dem Helligkeitswert und dem Kontrast der Aufnahme nicht zufrieden, da die dunklen Partien, etwa am Pfeilerkern hinter den Figuren nicht mehr erkennbar waren, wenn das Dia an eine Leinwand projiziert wurde. Eine auf den ersten Blick blass und kontrastschwach wirkende Aufnahme war unter Umständen für die Projektion besser geeignet.

Was auch immer die Gründe für die Doppelung (und in manchen Fällen auch Verdrei- und Vervierfachung) der gleichen Aufnahme sein mögen: Die Beschäftigung damit lenkt den Blick auf den Umstand, dass sich die kunsthistorische Diathek aus Medienobjekten zusammensetzt, die Derivate einer Uraufnahme sind. Manchmal sind diese Derivate auf kurzem Weg, oft aber über viele Schritte entstanden. Dabei wird auch deutlich, dass das für die Lehre gebrauchte Bild nicht immer ein technisch perfektes und noch viel weniger ein originelles Bild sein musste. Aber – wie auch bei den anderen Beispielen der Fundstücke – ist es vielmehr die Verzahnung allgemein-bildhistorischer und konkret-objektbezogener Aspekte, gelegentlich gepaart mit Ereignissen aus der Instituts- und Fachgeschichte, die die Objekte für uns reizvoll macht.

(G.S.)

(Datensätze mit Dias, die mehrfach gleiche Aufnahmen zeigen: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21hasdata123&k=&modal=&display=thumbs&order_by=resourceid&offset=0&per_page=240&archive=&sort=DESC&restypes=&recentdaylimit=&foredit=&noreload=true&access= )

Zur Hauptseite der Fundstücke

Aufruf aller bisherigen Fundstücke: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/category/fundstück/

Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #49

#49 Der falsche Grünewald

Dia mit Aufnahem eines der Blätter aus dem “Marburger Grünewaldfund” von 1949, Schwebende Magdalena, Aufbewahrungsort unbekannt (Digitalisat: Mediathek des IKB)

Unter den Negativbeständen des IKB, die zum großen Teil als Vorlagen für die Glasdiapositive angefertigt wurden (s. Fundstück #41), befindet sich auch ein Schächtelchen, das mit „Grünewald“ beschriftet ist. Die Aufmerksamkeit, die der Name des bekannten, geheimnisumwitterten Malers des frühen 16. Jahrhunderts erregt, steigt noch dadurch, dass die in der Schachtel enthaltenen Negative augenscheinlich Originalvorlagen wiedergeben – Zeichnungen auf Papier, die direkt abfotografiert wurden.
Im Grünewald-Fach der Glasdiasammlung fanden sich fünf unter Verwendung dieser Negative, der Inventarnummer zufolge im Jahr 1951 angefertigte Dias. Sie liefern zusätzliche Information. Aber anstatt weiterer Angaben – etwa zu Titel, Datierung, Sammlung – ist der Name Grünewald mit einem Fragezeichen versehen und die Dias tragen den Hinweis: „Fund in Gisselberg bei Marburg. Dezember 49“.

Gegenstand der Dias ist also offenbar ein überraschender Fund, über dessen Umstände ein Artikel von Frieda Dettweiler in der Kunstchronik vom März 1950 aufklärt: „Am 6. Dezember vergangenen Jahres [1949] fand auf seinem Arbeitsweg von Wenkbach nach Marburg der Kunstmaler O. Brinckmann, Hauszeichner der Marburger Presse, in einer Abfallgrube am Rande der Landstraße kurz vor dem Dorfe Gisselberg die genannten Zeichnungen. Sie lagen, vom Regen der vergangenen Tage durchfeuchtet, unter alten Dosen und Lumpen…“ (Dettweiler 1950). Insgesamt handelte es sich um sechs Blätter.
Wirft man jedoch einen genaueren Blick auf die – im Dia besser als im Negativ erkennbaren – Darstellungen , dann fällt die Aufregung schnell in sich zusammen. Bereits das hier ausgewählte, unfarbige, abfotografierte und umkopierte Glasdia erweist, dass es sich kaum um eine Zeichnung des 16. Jahrhunderts, geschweige denn um ein Werk Grünewalds handeln kann. Die formlosen, vorgegebenen Konturen folgenden Striche sowie die unzusammenhängende Schattengebung machen es unwahrscheinlich, dass es sich um einen Entwurf handelt. Alle Merkmale weisen bestenfalls auf eine Nachzeichnung hin.

Bereits die Einschätzung Dettweilers im besagten Artikel fiel kritisch aus. Sie vermutete klug argumentierend sogar das Abzeichnen nach Schwarzweißreproduktionen: „Die Art der Schattierung des Gesichtes, besonders des Mundes, entspricht den Schatten, wie sie eine Schwarzweiß-Reproduktion zeigt. Fuß und wehender Mantelzipfel des linken Engels sind vollkommen dem Verkündigungsengel [des Isenheimer Altars] entnommen, während Kopf und Oberkörper dem Gambenengel gleichen (wie auch andere feststellen), und der breite Flügel am rechten Arm durch Hinzufügung des Gefieders des Cherubims dahinter entstanden ist, ein Mißverständnis, das auch nur auf die Schwarzweiß-Vorlage zurückgeführt werden kann.“ (Dettweiler 1950, S. 236). Barbara Welzel hat dem gesamten Vorgang in den 1990er Jahren einen Aufsatz gewidmet, der besonders die Zeitbedingtheit kennerschaftlicher Urteile herausstreicht. Die inzwischen verschollenen Originale konnte sie jedoch nicht mehr sehen (Welzel 1995/96). Obwohl der Fall damals die Grünewald-Kennerschaft in der Weise spaltete, dass es auch ernsthafte Befürworter einer Zuschreibung gab – darunter der damalige Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts Friedrich Winkler –, bemerkt auch Welzel rundheraus, das niemand heute eine Autorschaft Gründewalds für diese Blätter “auch nur in Erwägung ziehen würde” (Welzel 1995/96, S. 214).

Aus heutiger Perspektive ist bemerkenswert, dass die Diskussion um die Zuschreibung der Zeichnungen wochenlang in der Tagespresse geführt wurde (vgl. Dettweiler 1950, S. 233-234), während diese Frage – wenn es nicht gerade um Leonardo oder Van Gogh geht – heute kaum auf breiteres Interesse stoßen dürfte. Es bleibt offen, ob die Zeichnungen, deren unregelmäßig beschnittenes Papier den Eindruck historischer Entstehung hervorruft, tatsächlich in Täuschungsabsicht entstanden sind oder nur Stilübungen darstellen. Am Ende der Diskussion stand der definitive Ausschluss der Zeichnungen aus dem Oeuvre Grünewalds. Im Werkverzeichnis der Zeichnungen von Roth ist ihnen nurmehr eine Fußnote in der Einleitung gewidmet (Roth 2008, S21 n. 8).

Was sie Berliner Lehrbildsammlung betrifft, so stellt sich die Frage, ob und wann die Dias im Unterricht eingesetzt wurden. Die Vorlesungsverzeichnisse zeigen keine passenden Veranstaltungen. Richard Hamann, damals kommissarischer Lehrstuhlinhaber in Berlin, aber zugleich immer noch eng mit seinem alten Institut in Marburg verbunden, hat am 7. März 1950 im „Deutschland-Sender“, der zentralen, später in “Stimme der DDR“ umbenannten Rundfunkstation über den Fall gesprochen (Dettweiler 1950, S. 233). Wir kennen den Wortlaut seines Beitrags nicht; Dettweiler ordnete ihn unter diejenigen ein, die die Werke für „spätere Arbeiten in Anlehnung an Grünewaldsche Originale“ hielten, was sie jedenfalls weit von Grünewald und seiner Zeit abrückte. Nebenbei bemerkt, lehnte auch Hamanns Sohn, Richard Hamann-Mac Lean, damals Privatdozent in Marburg, nach den Titeln von Zeitungsbeiträgen in der Frankfurter Rundschau und in der Neuen Zeitung zu urteilen, die Zuschreibung strikt ab.
Sicherlich ist Richard Hamann über das Marburger Institut an die Aufnahmen gelangt, wenn er sie – immer noch für die dortige Fotoabteilung zuständig – nicht sogar veranlasste. Er benötigte sie aber wohl kaum für Lehrveranstaltungen, sondern wahrscheinlich, um seine Meinung zu diesem um 1951 immer noch diskutierten Forschungsproblem anhand von Lichtbildern vorzutragen.

(G.S.)

Literatur

Dettweiler, Frieda: “Drei bei Marburg gefundene ‘Grünewaldzeichnungen'”, in: Kunstchronik 3.1950, S. 232-236.
Welzel, Barbara: Vom “inneren Bild des Kenners” – der Marburger “Grünewald”-Fund von 1949, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 49/50 (1995/96), S. 212 – 226.
Roth, Michael: Grünewald, Matthias. Die Zeichnungen (Festgabe zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 1908 – 2008), Ostfildern 2008.

(Datensätze der Dias mit den Marburger “Grünewaldfunden”: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection606491)

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #48

#48 Im Land der Impressionisten

Abb. 1. Handgefertigtes Dia mit Karte auf Transparentpapier und Reprodia (Digitalisiat Mediathek des IKB)

Unser Fundstück, das Glasdia mit der farbigen Karte, ist gar kein Foto, sondern ein von Hand beschriebenes und bemaltes Stück Transparentpapier, das zwischen zwei Glasplatten gelegt wurde, die minimalistisch am Rand mit zwei Papierstreifen verklebt sind, damit das Ganze als Dia handhabbar bleibt, zugleich aber nichts von der teils bis an die Ränder reichenden Zeichnung verdeckt wird. Die Abbildung zeigt eine schematische Karte, bestehend aus Linien für Flussläufe und verschiedenfarbigen und verschieden großen Punkten für Städte und Orte rund um die Île de France. Es handelt sich um die wichtigsten Arbeits- und Aufenthaltsorte der Malerinnen und Maler des Impressionismus.

Wohl um die Zeichnung besser projizieren zu können, wurde auch ein Reprofoto davon gemacht, das wiederum zum Dia umkopiert wurde (s. Abb. 1). Solche Beispiele abfotografierter Zeichnungen – auch solcher, die von den Lehrenden hergestellt wurden – sind nicht selten. Wolfgang Schöne in Hamburg sticht hier besonders heraus, wie man an dem inzwischen teilweise online zugänglichen Diabestand des dortigen Seminars nachvollziehen kann.
Direkt als Dia verwendete Zeichnungen sind hingegen seltener. Der hohe Vergrößerungsfaktor erfordert eine präzise und detaillierte Ausführung, damit die Grafik in der Projektion nicht unförmig wirkt. Das gilt bereits für das große Glasdiaformat; im Kleinbildformat sind Zeichnungen praktisch nicht mehr direkt einsetzbar.

Im Zeitalter des Kleinbilds wurden selbst angefertigte Zeichnungen stattdessen mit Hilfe eines Overheadprojektors (in der DDR bekannt unter dem Markennamen „Polylux“) an die Wand geworfen, der mit seinem schiefen Bild und in den Raum strahlenden Licht (vgl. die Philippika von Bredekamp 2000) als Ergänzung zur Diaprojektion freilich problematisch blieb. Vorteil war allerdings, dass auf der Projektionsfläche ad hoc gezeichnet werden konnte. Auch wenn so eher einfache Schemazeichnungen, ähnlich wie auf Schultafeln, entstanden, fehlte diese Möglichkeit der Veränderung und Aktualisierung der abfotografierten Zeichnung.

Interessanterweise zeigt die händisch hergestellte Vorlage unserer Objekte eine solche Veränderung. Dort sind nämlich nach der Herstellung des Fotos noch der Verlauf der Epte, ein rechter Nebenfluss der Seine nördlich von Paris, sowie der Loing, ein linker Seitenfluss im Süden, hinzugefügt worden. Zwar nicht während der Lehrveranstaltung, aber doch unmittelbar davor, war eine solche Ergänzung auf dem transparenten Material möglich. Hierfür musste nur einer der Papierstreifen entfernt werden, um die Glasplatten aufzuklappen und anschließend wieder angebracht werden, um die beiden Platten wieder fest aneinander zu binden.

Nun stellt sich die Frage, für welche Lehrveranstaltung die Dia-Karte angefertigt wurde, und auf wen sie zurückgehen könnte. Thematisch liegt hier Peter H. Feist am nächsten, der nicht nur in der DDR, sondern auch im deutschsprachigen Raum ein führender Kenner auf dem Gebiet des Impressionismus war. Seine gut lesbaren Überblicksdarstellungen wurden bis vor kurzem u.a. im Taschen-Verlag immer wieder aufgelegt.

Diesen Schwerpunkt bildete Feist, der sich zunächst auf ikonografische Fragen im frühen Mittelalter fokussierte, allerdings erst im Zuge der Habilitation seit dem Ende der 1950er Jahre aus. Der erste Kontakt mit der Malerei des Impressionismus begann vielmehr zurückhaltend, wie er bezüglich seiner ersten Frankreichreise 1954 schrieb: „Am 13. September stieg ich nach tagelangen Aufregungen um Pässe, Visa und Geld mit einem kleinen Koffer und einer Aktentasche in den Interzonenzug, erreichte nach mehrmaligem Umsteigen Kehl und fuhr dann morgens über den Rhein nach Straßburg…“(Feist 2016, 62). In der ihm eigenen gründlichen Art hat er das auch minutiös dokumentiert, auch durch ein – noch in schwarzweiß aufgenommenes – Kleinbilddia, das sich ebenfalls in der Sammlung des IKB befindet (Abb. 2). Die Reise führte ihn zunächst nach Südfrankreich und dann für mehrere Tage nach Paris. „Eigentümlich zögerlich gewann ich ein erstes Verständnis für die Impressionisten im Musée Jeu de Paume,“ vermerkte er zu seinem Paris-Aufenthalt (ebda., S. 64).

Abb. 2. Dias von Peter H. Feist, aufgenommen auf der Reise 1956 nach Südfrankreich und Paris bzw. in Paris 1958 (Fotos: Peter H. Feist; Digitalisat Mediathek des IKB)

Auch wenn es sich nicht um eine Reise zu den Orten der Impressionisten in der Île de France handelte, die Feist – abgesehen von vielen Parisbesuchen – auch später anscheinend nie systematisch unternommen hat, so macht es gerade die Ähnlichkeit der Handschrift dieses frühen und daher besonders sorgfältig beschrifteten Dias wahrscheinlich, dass er auch der Autor der Kartenzeichnung ist.

Sucht man nun nach in Frage kommenden Lehrveranstaltungen, stellt man fest, dass Feist Jahre später, im Frühjahrssemester 1959/60 (das nach dem damaligen an der Sowjetunion orientierten Studienrhythmus die ersten drei Monate des Jahres 1960 umfasste) tatsächlich eine Übung mit dem Titel „Impressionistische Malerei in Frankreich“ abhielt, deren Besuch für das IV.-V. Studienjahr obligatorisch und für das I.-II. Studienjahr fakultativ war.

Zu einer derartigen, offensichtlich als breiter Überblick konzipierten Veranstaltung würde nicht nur die Karte, sondern auch der nach Ausweis der Inventarnummer 1960 anzusetzende Herstellungszeitpunkt für das Reprodia perfekt passen. Aufgrund unserer Beobachtung der Differenzen zur händisch gezeichneten Variante darf jedoch vermutet werden, dass Feist tatsächlich – wohl auch den Vorzug der Mehrfarbigkeit schätzend – vor allem letztere einsetzte und sie im Verlauf der Veranstaltung aktualisierte. Überhaupt ist davon auszugehen, dass er in der Lehrveranstaltung nicht nur die großen Glasdias benutzte, die fast ausschließlich Schwarzweiß-Repoduktionen boten, sondern – wo vorhanden – auf seine eigenen Farbdias im Kleinbildformat zurückgriff, die er seit 1954 in den Museen in Paris und anderswo angefertigt hatte (s. Abb. 2).

(G.S.)

Literaturhinweise

Feist, Peter H.: Hauptstraßen und eigene Wege. Rückschau eines Kunsthistorikers, Berlin 2016
Bredekamp, Horst, Warum ist es so schwierig, ein Dia zu zeigen?, in: Frankfurter Allgemeine 5. Okt. 2000, Nr. 231, Berliner Seiten, S. 1.

(Datensätze der Dias in den Abbildungen: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection606218 )

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Aufruf aller bisherigen Fundstücke: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/category/fundstück/

Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #47

#47 Tauschgeschäfte

Abb. 1. Negativ (invertiert gezeigt) mit Aufnahme einer 1957 von der Eremitage erbetenen Fotografie auf Reprostaffelei (Paulus Potter, Wolfshund, um 1650). Vom Negativ kopiertes Diapositiv. (Digitalisate: Mediathek des IKB)

Diesen Fund haben wir im Universitätsarchiv gemacht. Zunächst geht es um Fotoabzüge für eine Ausstellung. Aber am Ende sind auch wieder die Glasdias der Lehrsammlung involviert.

Der Schriftverkehr des Instituts in den 1950er Jahren enthält – nicht überraschend – umfangreiche Korrespondenz mit akademischen oder kulturellen Einrichtungen in der Sowjetunion. Neben Schriftstücken zu Vortragseinladungen, Lehraufträgen, oder Forschungsaufenthalten finden sich auch Vereinbarungen über den Austausch von Bildmaterial. Die Korrespondenz wurde überwiegend auf Russisch geführt; die deutschen Textentwürfe der Berliner Seite, die in Übersetzung abgeschickt wurden, liegen den Akten bei. Ihr Ton ist auffallend zuvorkommend, fast devot.

In einem Briefwechsel von 1957, den Edgar Lehmann (vgl. Fundstück #40) als damaliger Institutsleiter führte, wird vereinbart, dass das Berliner Institut Aufnahmen von Werken aus der Eremitage in (damals) Leningrad erhält und dafür eine Auswahl an Aufnahmen altdeutscher Malerei (Cranach) und von Baudenkmälern aus Thüringen und Sachsen-Anhalt (Erfurt, Magdeburg) schickt.
Der deutschsprachige Entwurf der ersten Anfrage, der dann noch weitere Korrespondenz folgte, ist hier vollständig wiedergegeben (Universitätsarchiv HU, Phil Fak. Dekanat 0121):

26. Sept. 1957
An den Stellvertretenden Direktor
der Staatlichen Eremitage
Dr. W.F. Levinson-Lessing
Leningrad

Sehr geehrter Herr Dr. Levinson-Lessing!

Das Kunstgeschichtliche Institut der Humboldt-Universität Berlin gestattet sich, an Sie mit der Bitte heranzutreten, ihm beim Aufbau einer Ausstellung mit Photos von Werken der Staatlichen Eremitage zu helfen. Die Ausstellung findet in den Räumen des Instituts statt während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Wladimir Franzowitsch, uns die Photos bis zum 1. November zuzuschicken. Es handelt sich um ungefähr 35 Stück, im Format 24/30. Im Austausch dafür senden wir Ihnen Photos von Werken deutscher Kunst. Die Liste der benötigten Photos hat Ihnen unser Assistent Herr Hallmann in einem persönlichen Briefe an Sie geschickt.
Wir wären Ihnen, sehr geehrter Wladimir Franzowitsch, für die Erfüllung unserer Wünsche sehr dankbar.

Prof. Dr. Lehmann
Direktor des Instituts

Abb. 2. Ausschnitte der Listen der gewünschten und der als Gegenleistung angebotenen Aufnahmen (Universitätsarchiv HU, Phil Fak. Dekanat 0121)

Eine bei diesem Briefentwurf befindliche Liste (vgl. Abb. 2 li.) gibt darüber Auskunft, dass es sich bei den aus der Sowjetunion erbetenen Aufnahmen nicht etwa um Werke proletarischer Kunst oder der Avantgarde irgendeiner Art, sondern um Klassiker der (west-)europäischen Malerei handelt. Darunter finden sich Werke von italienischen Meistern wie Leonardo, Raffael, Giorgione, Tizian, Caravaggio, von niederländischen Meistern wie Rogier van der Weyden, Brueghel, Rubens, Rembrandt und Ruisdael sowie von französischen Meistern wie Claude, Poussin, Watteau und Daubigny.

Diese Auswahl bewegte sich vollständig im Rahmen traditioneller Kunstgeschichtsschreibung und hätte auch schon um 1900 oder 1930 Interesse gefunden. Auch hier zeigt sich wieder, dass das sozialistische Lehrprogramm mit dem Kanon der älteren Kunst keine grundsätzlichen Schwierigkeiten hatte.

Zusätzlich wurden sieben Aufnahmen der Bauten und Räume des Eremitage-Museums erbeten, die wohl die Ausstellung ergänzen sollten, darunter auch ein Bild der Neuen Eremitage von “Hugo von Klenze” (tatsächlich Leo von Klenze).
Von den zugesandten Fotoabzügen, deren Verbleib bislang nicht bekannt ist, wurden noch im gleichen Jahr Dias angefertigt, die sich bis heute in der Glasdiasammlung befinden. Auch die dafür hergestellten Repronegative sind zum großen Teil noch auffindbar. Auf ihnen ist sichtbar, wie die Fotoabzüge vom Institutsfotografen mit Glasplatte und Klammern vertikal an einer Holztafel fixiert wurden, um dann abfotografiert zu werden – was der Hund des bekannten Gemäldes von Paulus Potter scheinbar ungerührt über sich ergehen lässt.

Das Negativ gibt uns mit seinem üppigen Rand beiläufig einen Einblick in das Reprostudio des Institutsfotografen. Der Ausschnitt war jedoch kein Zufall, sondern auf dem 9 x 12 cm großen Negativ absichtlich so gewählt, damit die abgebildete Fotografie die richtige Größe für das 8,5 x 10 cm messende, per Kontaktkopie hergestellte Dia hatte (Abb. 1).

Die mit diesen Reproaufnahmen und Diakopien vorgenommene Erweiterung der Lehrsammlung war wohl eher ein Nebeneffekt, da für einige der Werke bereits ältere Dias vorhanden waren. Die Repronegative erhielten – soweit sie bislang identifiziert werden konnten – Nummern von 7100 aufwärts, mit denen nach dem damaligen Verfahren auch die davon kopierten Glasdias versehen wurden (vgl. Fundstück #41).

Die Aufnahmen, die der Eremitage als Gegenleistung zugesichert wurden, sind ebenfalls in einer Liste dokumentiert (Abb. 2 re.). Sie wurden laut einer Notiz am 1. 11. 1957 abgeschickt. Bei der offenbar nicht angefragten, sondern vom Berliner Institut selbst angebotenen Auswahl handelt es sich um eher regional bedeutende Werke des Mittelalters und der Renaissance, die – ohne dem Erfurter Dom oder Lukas Cranach zu nahe treten zu wollen – gegenüber den international bekannten Spitzenstücken der Eremitage eher wie das Mitbringsel eines Regionalpolitikers wirken.

Allerdings wäre es auch schwierig gewesen, die hochwertige internationale Kunst der Berliner Sammlungen in neuen Aufnahmen zum Tausch anzubieten, da diese nach 1945 die Sowjetunion abtransportiert worden war – wenn sie nicht ohnehin als vernichtet angesehen werden musste, wie im Fall der großformatigen Werke der Berliner Gemäldegalerie, die nach Kriegsende im Flakbunker Friedrichshain verbrannt waren.

Zwar hatte der Ministerrat der Sowjetunion schon im März 1955 herausragende Werke, darunter Raffaels Sixtinische Madonna, an die Gemäldegalerie Dresden „als Freundschaftsgeste an den Militärpartner DDR“ zurückgegeben. Aber die große Welle der Restitutionen erfolgte erst 1958, also im Jahr nach unserem Bildertausch, mit insgesamt über zwei Millionen Objekten, die der Berliner Museumsinsel und den Dresdener Museen wieder übereignet wurden (Qu. Kulturstiftung der Länder, Projekt Verlust-Rückgabe).

Angesichts dieser Situation der Unsicherheit der Kunstsammlungen der DDR konnten die kleine Fotoausstellung im Institut und der damit verbundene Bildertausch nicht unbelastet gewesen sein. Bei einer Vorstellung der Eremitage anhand bedeutender Werke, war es gar nicht vermeidbar, daran zu denken, dass gleichzeitig ähnlich bedeutende Werke aus Berliner Bestand in den dortigen Depots lagerten. Das zu thematisieren oder gar zu kritisieren war selbstverständlich völlig ausgeschlossen.

Es bleibt zu fragen, warum gerade bekannte Meister der (West-)Europäischen Kunstgeschichte ausgewählt wurden. Wollte man sich – über eine bloße Anbiederung hinaus – im Zuge der immer geringer werdenden und bald völlig verschwundenen Reisemöglichkeiten versichern, dass der Zugang zu westlicher Kunst auch über die Sowjetunion möglich sei?

Ob die in den Institutsräumen geplante Ausstellung tatsächlich durchgeführt wurde, wie sie aussah, ob hierfür etwa Texte verfasst wurden und ob es Begleitveranstaltungen gab, ist nicht bekannt. Erneut hinterlässt unser Fundstück zahlreiche Fragen, die noch zu erforschen sind.

(G.S.)

(Datensätze aller bislang aufgefundener, zum Vorgang gehöriger Dias: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/search.php?search=%21collection606106 )

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Die Diapositive und Fotos aus den Sammlungen des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte tragen verschiedenste Spuren ihrer Herstellung und Nutzung und sind damit immer auch ein Stück Institutsgeschichte, Fachgeschichte oder Medien- und Technikgeschichte.
Die hier in loser Reihe vorgestellten Fundstücke sind als solche gemeint: Immer wieder fallen einzelne Objekte auf – aufgrund ihrer Beschaffenheit, aufgrund ihre Bildinhalte, aufgrund eines sonstigen Umstands – und geben Anlass zu weiteren Beobachtungen, Überlegungen, oder kleinen Recherchen. Wenn sich dann eine erste Geschichte abzeichnet, wird sie hier gelegentlich präsentiert. Nicht als Forschungsergebnis, sondern eher als Beobachtung, Vermutung, Frage, die zu weiterer Forschung führen kann. Zusätzliches Wissen in Form von Ergänzungen, aber auch Korrekturen, ist stets willkommen (mediathek.kunstgeschichte@hu-berlin.de). Im Text geäußerte Einschätzungen geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autor:innen wieder.

Fundstück #46

#46 Promotion in Kriegszeiten

Tafel aus dem Abbildungsband zur Dissertationsschrift von Marin Nicolau-Golfin, Version 1960, und Schreiben vom 12.7.1968 (Archiv der Mediathek des IKB)

Unter den losen und nicht inventarisierten Beständen in der Mediathek befindet sich eine Mappe, die 100, auf Pappe aufgezogene Fotos enthält. Die Abbildungen zeigen Wandbilder aus Kirchen im Gebiet des heutigen Rumänien. Die Beschriftungen mit Seitenangabe, Abbildungsnummer und Bezeichnung des Gegenstands lassen vermuten, dass sie entweder zu einer Qualifikationsarbeit oder einer Publikation gehören. Der Titel der Abhandlung geht aus den Tafeln jedoch nicht hervor. Ebensowenig ist vermerkt, wer der die Aufnahmen angefertigt hat.

Ein vergilbter, maschinengeschriebener Brief von 1968, der sich im äußerem Umschlag der Mappe versteckte, klärt über die Hintergründe der Bildersammlung auf. Er enthüllt ein akademisches und persönliches Drama. Die genaueren Umstände gehen aus dem Schreiben nicht hervor und müssen noch erforscht werden, daher wird der Inhalt hier nur stichpunktartig wiedergegeben. Der Absender – Marin Nicolau-Golfin, geboren 1914 in Iași/Rumänien, gestorben 1996 in Genf/Schweiz und laut Absenderadresse damals an der Akademie der Künste in Bukarest lehrend – berichtet folgendes:

Er habe sich im Jahr 1941 an der Berliner Universität eingeschrieben, um bei Philipp Schweinfurth Byzantinistik, Gerhart Rodenwaldt Archäologie und Sextil Pușcariu Rumänische Kulturwissenschaft zu studieren. Das Studium habe er 1944 abgeschlossen, die mündlichen Prüfungen abgelegt und auch eine Dissertation zur rumänischen Monumentalmalerei – also Wand- und Deckenmalerei – von den Anfängen bis zum Jahr 1830 eingereicht, die mit Schweinfurt diskutiert worden sei. Ob es sich dabei um eine förmliche Disputation handelte, bleibt offen.

Allerdings sei er noch 1944 – nach dem Frontwechsel Rumäniens von der Allianz mit dem nationalsozialistischen Deutschland zur Sowjetunion – in einem deutschen Konzentrationslager interniert gewesen und habe seitdem nichts mehr von seinen Prüfungen erfahren können. Erst viel später, 1960, habe er in einer anderen Sache Kontakt zur nunmehrigen Humboldt-Universität gehabt und in diesem Zusammenhang den Ratschlag erhalten, sich an das Institut für Kunstgeschichte zu wenden. Dort habe man jedoch von seiner Promotion keine Spur finden können; daher habe der damalige Direktor Gerhard Strauss ihm geraten, seine Arbeit erneut einzusenden. Nicolau-Golfin fährt fort, dass er das in Form einer aktualisierten Version des Texts, zuzüglich dreier Mappen mit je 100 Schwarzweissfotos, getan habe. Nachdem eine unmittelbare Reaktion hierauf ausgeblieben sei, habe er noch einmal eine um sprachliche Fehler verbesserte Version des Texts nachgereicht.

In seinem Schreiben bezieht er sich weiter darauf, dass sein Adressat – der nunmehrige Direktor des Instituts, Peter H. Feist – geantwortet habe, dass die vorliegenden Unterlagen wohl nicht ausreichten, um die Promotion zu bestätigen, da insbesondere kein Beleg für die seinerzeit abgelegten mündlichen Prüfungen vorhanden sei und zudem nach den aktuellen Maßstäben wohl weitere Prüfungen erforderlich seien. Nicolau-Garin appellierte hierauf im vorliegenden Schreiben, seine Promotion nach den Maßstäben von 1944 und nicht nach denen von 1968 zu beurteilen.

Spätere Antworten des kunsthistorischen Instituts, die möglicherweise an anderer Stelle noch aufzufinden wären, kennen wir bislang nicht. Aber offenbar wurde Nicolau-Golfins Ansuchen um Anerkennung seiner kunsthistorischen Promotion in Berlin nicht stattgegeben, da eine Publikation der Dissertation – die in so einem Fall zu erwarten wäre – bibliographisch nicht nachweisbar ist.

Unabhängig davon war Nicolau-Golfin als Autor kunsthistorischer und kunstdidaktischer Publikationen in seinem Heimatland erfolgreich tätig. 1967 erschien eine Geschichte der Kunst als Lehrbuch für Kunstschulen und 1969 ein weit verbreiteter Überblick über die Kunstgeschichte in zwei Bänden (1). Seit den 1980er Jahren lebte Nicolau-Golfin, der bereits vor seinem Berliner Promotionsprojekt in Bukarest einen Doktortitel in Geschichte erworben hatte, in Genf. Wohl vor dem autoritären kommunistischen Regime geflohen, betrieb er dort einen rumänischen Verlag, publizierte nach der politischen Wende jedoch auch wieder in Rumänien. Er starb 1996 in Genf. In seinen späten Jahren war er vor allem belletristisch und dramaturgisch tätig (2). In der Bibliothek der Humboldt-Universität ist er nicht mit seiner wohl nie erschienenen Dissertationsschrift, aber dafür mit einem Roman aus dieser Zeit vertreten: Fata pământului („Erdmädchen“), Bukarest 1994.

Die eingangs genannte Abbildungsmappe im Archiv der Mediathek ist vermutlich die erste der drei im Brief erwähnten Mappen, die den Abbildungsapparat zum Dissertationsmanuskript bildeten. Sie enthält die mittelalterlichen Bildbeispiele. Die beiden anderen Mappen sind, ebenso wie der Text selbst, nicht im Bildarchiv der Mediathek auffindbar. Ob die Abbildungen der neueren Werke – dem Titel der Arbeit zufolge wurden ja Kunstwerke bis 1830 behandelt – weniger interessierten und daher nicht aufgehoben wurden, oder aus einem anderen Grund verloren gingen, ist unbekannt.

(G.S.)

(1) Marin Nicolau-Golfin: Istoria artelor. Manual pentru clasa a vL a scolilor de arte plastice. Bukarest 1967 und Ders: Istoria artei. 2 Bde., Bukarest 1969.
(2) Kurzer Artikel in der rumänischen Wikipedia: https://ro.wikipedia.org/wiki/Marin_Nicolau.

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Einladung zur Präsentation des neuen Käte Hamburger Kollegs inherit. Heritage in Transformation

Einladung zur Präsentation des neuen Käte Hamburger Kollegs inherit. Heritage in Transformation am 6. Juli 2023 (English below)

Im Januar 2024 wird inherit. Heritage in Transformation seine Türen öffnen. Das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Käte Hamburger Kolleg möchte vor dem Hintergrund globalgesellschaftlicher Umwälzungsprozesse „Heritage“ als Aktivität, die im ständigen Wandel begriffen ist, in den Fokus rücken. Jährlich werden zehn bis fünfzehn internationale Fellows im Rahmen des Kollegs unterschiedlichste Heritage-Praktiken erforschen und ihre Ergebnisse in experimentellen, künstlerischen Formaten aufbereiten und öffentlich machen. Weitere Infos finden Sie hier: https://inherit.hu-berlin.de/about/

Das Kolleg ist thematisch eng verbunden mit den vielfältigen und hervorragenden Forschungsinitiativen zu Heritage durch Kolleg:innen an der Humboldt-Universität und in den Sammlungsinstitutionen in Berlin. Der lebendige Austausch mit Ihnen ist uns ein großes Anliegen. Daher möchten wir Sie herzlich zu einem ersten Austausch mit einer kurzen Präsentation und einem Umtrunk mit gemeinsamen Gesprächen einladen.

Einladung_HU meets inherit

Termin: 6.7.2023, 17.15-18.45 Uhr
Ort: Kurssaal, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK),
Campus Nord – Haus 3, Philippstr. 13, 10115 Berlin

RSVP: Bitte senden Sie bis zum 3.7.2023 eine E-Mail an irene.hilden@hu-berlin.de

Wir freuen uns sehr auf Ihr Kommen!

Eva Ehninger and Sharon Macdonald

Invitation to find out more about the new HU School of Advanced Study: inherit. Heritage in Transformation | Event on 6th July 2023

In January 2024, a new School of Advanced Study, inherit. Heritage in Transformation, will open its doors. Funded by the BMBF, initially for 4 years but with two possible further 4-year periods, its format is a Käte Hamburger Kolleg, which involves ten-fifteen international fellows coming each year to research heritage transformations alongside a core team based at HU. Addressing historical and contemporary transformations of heritage, as well as the potentials to transform society through heritage, the fellows and core team will also develop experimental and artistic formats to conduct research and bring it into wider public conversation. There is a little further information available here: https://inherit.hu-berlin.de/about/

inherit‘s focus links closely to much great and diverse research and practice that is already underway in the Humboldt-Universität and also in collecting and other heritage institutions in Berlin. We would welcome exchanging ideas for potential future interactions with you. Hence this warm invitation to come to hear a short presentation about inherit and, with refreshments, to discuss possibilities.

Time: 6.7.2023, 17.15–18.45
Place: Kurssaal, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK), Campus Nord – Haus 3, Philippstr. 13, 10115 Berlin
RSVP: Please send an email by 3.7.2023 to irene.hilden@hu-berlin.de

We look forward to seeing you!

Eva Ehninger and Sharon Macdonald

— 

Dr. Irene Hilden | inherit. Heritage in Transformation

Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) | Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK)

Humboldt-Universität zu Berlin | +49 (0)30 2093-70848 | irene.hilden@hu-berlin.de

Horst Bredekamp: Berlin am Mittelmeer (erweiterte Auflage, 2023)

Horst Bredekamp
Berlin am Mittelmeer

Kleine Architekturgeschichte der Sehnsucht nach dem Süden – Erweiterte Ausgabe

Sachbuch. ersch. 24.6.2023
192 Seiten. Klappenbroschur. Mit sehr vielen Abbildungen.
22,– €

ISBN 978-3-8031-3727-2

Horst Bredekamp, Berlin am Mittelmeer, 2023Wagenbach Verlag

Horst Bredekamp als Stadtführer durch die Mitte Berlins – unversehens ist man in Rom, in Florenz, in Venedig und Athen. Der Autor verführt zu einem völlig neuen Blick auf eine Stadt, die man zu kennen glaubte.

Berlin gilt als eine Stadt, die sich quasi aus dem Nichts immer wieder neu erfunden hat – nach dem Aufstieg zur preußischen Königsresidenz, der Reichseinheit, dem Ende des Kaiserreichs, den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und nach dem Fall der Mauer. Dabei gibt es eine starke Traditionslinie, die jede Epoche der Architekturgeschichte sichtbar prägte: die Orientierung an der Kunst der Mittelmeerländer, die der Stadt schon früh einen südlichen Charakter verlieh.

Ein Spaziergang offenbart jede Menge überraschender Parallelen – von Schlüters barockem Schloss (Antike! Rom!) über das Forum Fridericianum und das Tieranatomische Theater (Palladio! Vicenza!), das Brandenburger Tor (Athen! Akropolis!), den Reichstag, den Dom und das Bodemuseum bis hin zum Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nach 1945, zu Franco Stellas Flügel des neuerrichteten Berliner Schlosses oder der James-Simon-Galerie.

Fundstück #45

#45 Ein byzantinischer Riese wird zum Leben erweckt

Abb. 1. Glasdia, Ruine der östlichen Hälfte des Bukoleon-Palasts in Konstantinopel (seit 1930 Istanbul), Aufnahme von Guillaume Berggren um 1880 (Digitalisat: Mediathek des IKB)

Beim Stöbern im Byzanz-Teil des Schranks 16 finden wir ca. 300 digitalisierte Dias von historischen Fotografien nicht mehr bestehender oder inzwischen restaurierter Klassiker, zumeist der Architektur. Darunter ein Dia mit der Beschriftung, „Konstantinopel Palastfront in der Seemauer“ aus dem 5./6. Jahrhundert (Abb. 1). Diese Aufnahme fällt ins Auge, denn sie zeigt die Teilruine eines heute als Bukoleon-Palast bekannten antik-mittelalterlichen Baukomplexes, die inzwischen weitgehend in die moderne Stadt integriert ist. Die Charakteristika der Aufnahme erlauben eine Datierung der Bildvorlage auf das späte 19. Jahrhundert. Die hängende Wäsche lässt die Nutzung als Wohnstätte vermuten, dicht hinter der Fassade befinden sich zeitgenössische Bauten, von denen wir die Schornsteine sehen.

Bestellt wurde das Dia vom Berliner Byzantinisten Oskar Wulff (1864-1946), der von 1902 bis 1936 als Privatdozent und außerordentlicher Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universität lehrte, wahrscheinlich für seine Lehrveranstaltung zur „Spätbyzantinischen Kunst“ im Wintersemester 1930/31. Darauf deutet das wohl vom Institutsfotografen angebrachte Kürzel „wf“ auf dem Dia hin, ebenso die Beschriftung in Wulffs eigener Hand. Die Inventarnummer 42512 lässt auf eine Aufnahme in die Dia-Sammlung des kunsthistorischen Instituts ca.1929/30 schließen. Der Zusatz zur Objektbezeichnung „Hornitsdas“ (eigentlich Hormisdas) war die bis dahin gebräuchliche Bezeichnung des abgebildeten Baus, den man als Palastteil des Hormisdas-Klosters ansah.

Abb. 2. Ruine der östlichen Hälfte des Bukoleon-Palasts in Konstantinopel (seit 1930 Istanbul), Aufnahme von Guillaume Berggren um 1880 (aus: David Hendrix, Palace of Boukoleon 2016 (thebyzantinelegacy.com, Stand 5.6.2023)

Die Bildvorlage ist eine um 1880 aufgenommene Dokumentationsfotografie des schwedischen Fotografen Guillaume Berggren (1835-1920), der seit 1870 ein Fotostudio vor Ort betrieb und die Gebäude Konstantinopels systematisch erfasste (Abb. 2; das IKB besitzt andere Aufnahmen Berggrens mit Straßenszenen in Istanbul). Entsprechend wurde die Fotografie beschriftet mit seinem Namen (unten rechts) sowie der Bestellnummer 164 und dem Titel „Maison de Justinien“ (unten links). Auf dem Dia sind diese Angaben abgeschnitten. Der starke Unterschied bei den Kontrasten entstand wohl beim mehrfachen Reproduzieren des Dias. Die Objektbezeichnung identifiziert den abgebildeten Bau als die Wohnstätte von Kaiser Justinian (527-565 n.Chr.) vor seinem Regierungsantritt, auch bekannt als Hormisdas-Palast.

Berggrens Aufnahme zeugt vom zunehmenden öffentlichen und wissenschaftlichen Interesse an der Erforschung des ehemaligen Byzantinischen Reichs als vollwertiger Teil des europäischen antiken und mittelalterlichen Erbes im späten 19. Jahrhundert. Sie gehört zu einer kleinen Serie, die die Überreste des ehemaligen kaiserlichen Hafens vor der Errichtung der Orientbahn festhielt, die ab 1883 zwischen Konstantinopel und Wien dicht an der abgebildeten (nach aktuellem Kenntnisstand) Osthälfte des Hafenpalastes vorbei, in die Westhälfte hinein und durch die westliche Wehrmauer in die Stadt fuhr. Würdevoll und trotzig steht die Fassade der Osthälfte da, bereits ohne Prachtbalkon, aber weiterhin mit dem Leuchtturm (hinten aus der Fassade hervortretend). Der Bau wirkt einerseits gefährdet durch die Nutzung als Wohnstätte, andererseits wirkt er trotz Verfall mächtig genug, um die Zeitgenossen zu beherbergen, und animiert den Betrachter zur Rekonstruktion des ehemaligen Repräsentativbaus am kaiserlichen Hafen, der zeitweilig als Kaiserresidenz genutzt wurde.

Aber warum zeigte Oskar Wulff diese Aufnahme 50 Jahre später im Wintersemester 1930/31 in seiner Lehrveranstaltung zur „Spätbyzantinischen Kunst“? Sie wurde wahrscheinlich verwendet bei der Besprechung der kürzlich, zwischen 1918 und 1928, erfolgten archäologischen Rekonstruktion des ehemaligen byzantinischen Palastbezirks Konstantinopels, zu denen der Hafenpalast gehörte. Damals nutzte der Berliner Archäologe Theodor Wiegand (1864-1936), seit 1899 Koordinator der deutschen Ausgrabungsprojekte im Orient, mit seinem Team die einmalige Chance eines ungehinderten Zugangs zu den Teilruinen und den Palastsubstruktionen infolge des großflächigen Brands im Hafenviertel 1912. Dabei lokalisierten sie den Hormisdas-Palast weiter westlich der hier abgebildeten Ruine, die sich als Osthälfte der Prachtanlage des kaiserlichen Hafens am Marmarameer herausstellte, die erst während seiner Erweiterung zur kaiserlichen Residenz im 9./10. Jahrhundert entstanden war. Damals erhielt der Hafen die Statue des Stiers, der mit dem Löwen kämpft (Griechisch: bous kai leon, βοῦς καὶ λεῶν), und der Palast den Namen „Bukoleon“. Bis dahin bestand der Hafenpalast aus der Westhälfte um die kaiserliche Landungsstelle, die tatsächlich im 5./6. Jahrhundert errichtet wurde. Der gesamte Bukoleon-Palast wurde 1204 durch die lateinischen Kreuzfahrer zerstört, anschließend vernachlässigt und in der spätbyzantinischen Zeit, die mit der Rückeroberung Konstantinopels 1261 einsetzte, wiederaufgebaut.

Die Ergebnisse der archäologischen Arbeiten samt fotografischer Dokumentation veröffentlichte Wiegand erst 1934, als er bereits Direktor des Archäologischen Instituts des Deutschen Reichs – Abteilung Istanbul – geworden war, in einer Monographie mit dem Titel „Die Kaiserpaläste von Konstantinopel zwischen Hippodrom und dem Marmara-Meer“. Dort wird Berggrens Aufnahme abgebildet (als Tafel XXIX) und in der Bildunterschrift unser Bau endlich korrekt „Östlicher Seepalast“ genannt. Die westliche Hälfte des Palastes, war von der Orientbahn nahezu beseitigt worden. Die Osthälfte litt seitdem dauerhaft unter der Bahnerschütterung und der Nähe der Bahnverwaltungsgebäude. Hinzu kamen Brandschäden und Witterung wie auch die Folgen der archäologischen Arbeiten selbst. Eine in Wiegands Monographie enthaltene Aufnahme von 1931 zeigt die Substanz nicht zuletzt auch durch die archäologischen Arbeiten weiter ausgehöhlt (Abb. 3). Denn das Team um Theodor Wiegand war dabei, alles Osmanische z.B. die Zinnen und die Vermauerung an den Fenstern zu entfernen, um die byzantinische Substanz freizulegen.

Abb. 3. Ruine der östlichen Hälfte des Bukoleon-Palasts in Istanbul (bis 1930 Konstantinopel), Aufnahme von 1931, Fotograf: Diether(?) Thimme (aus: Wiegand: Die Kaiserpaläste von Konstantinopel zwischen Hippodrom und Marmara- Meer. Berlin 1934)

Welches Material aus Wiegands Kampagnen Wulff für seine Lehrveranstaltung 1930/31 zugänglich war, wissen wir nicht. Er könnte jedenfalls die 1928 fertiggestellten Lagepläne und Aufrisse der Bauten von Ernst Mamboury (1878-1953) gezeigt haben. Der damals geplante Wiederaufbau der Kaiserpaläste wurde dann leider nie realisiert. Die historische Aufnahme von 1880 wählte Wulff wohl, um einen Eindruck der alten Größe des Bukoleon-Palasts zu vermitteln, den man bis zu den kürzlichen Rekonstruktionsarbeiten mit Ausnahme einzelner Bruchstücken der Westhälfte verloren glaubte.

(E.P.)

Literatur:

Dominik Heher, Der Palasthafen des Bukoleon, in: Falko Daim (Hg.), Die Byzantinischen Häfen Konstantinopels. Mainz 2016 S.67-88.
Margarethe König (Hg.), Palatia, Kaiserpaläste in Konstantinopel, Ravenna und Trier. Trier 2003.
Theodor Wiegand, Die Kaiserpaläste von Konstantinopel zwischen Hippodrom und Marmara- Meer. Berlin 1934.

(Datensatz des Dias: https://rs.cms.hu-berlin.de/ikb_mediathek/pages/view.php?ref=56789 )

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